Hotzenwaldblues
richten haben. Jetzt hoffte er inständig, dass Biggi nicht
auch so eine Szene veranstaltete. Aber sie hielt sich tapfer. Sie schnäuzte in
ein frisches Papiertaschentuch, warf eine Schaufel Erde auf den Sarg und fragte
sich kurz, ob sie nun wieder zunehmen würde.
* * *
Die Abzüge baumelten an Wäscheklammern und tropften ins Säurebad.
Killian gefiel der Anblick: Er hatte die letzten vier Wochen damit verbracht,
den andauernden Regen zu fotografieren, und jetzt plätscherte er sogar aus den
Fotos heraus. Vielleicht sollte er davon ein Foto machen? Ein Foto vom
Regenfoto, aus dem es heraustropfte? Vielleicht sollte er die Tropfen dann auch
noch farblich nachbearbeiten? Dunkelrot? Ein Regen, der sich in Blut
verwandelte, nachdem er fotografiert worden war? Roter Regen.
Killian ließ die inneren Bilder und Phantasien zu, er wusste, dass
es zur Bewältigung seiner Kriegstraumata gehörte. Er sah nun tatsächlich Blut
aus den frisch abgezogenen Fotos tropfen. Das Plastikbecken färbte sich rot,
gestaltete sich zu einem wilden Strudel, der Rohina mit sich in den Abgrund
riss. Dann warf jemand Steine auf den Blutsee, und sie hüpften über das Rot,
bis auch sie in der Lache ertranken. Killian erkannte den Werfer der Steine. Er
war es selbst.
Er riss sich von seinem verschwommenen Spiegelbild los, stieß die
Tür der Dunkelkammer auf und rang nach Atem. Dann ließ er sich erschöpft auf
sein barockes Sofa fallen und versuchte, seine Gedanken in andere Bahnen zu
lenken.
Er dachte an seine Tochter Swintha. Ob ihr Berlin gefiel? Er selbst
hatte die Prüfung an der Hochschule der Künste damals ebenfalls bestanden,
hatte das Studium dann aber bereits nach dem ersten Semester abgebrochen, weil
ihm das Kunstgesülze über Fotografie zuwider gewesen war. Für Killian war
Fotografie nicht das Festhalten des Moments, nicht das Einfrieren des
Augenblicks, sondern die Entdeckung der Bewegung in der scheinbaren Ruhe. Und
dafür hatte er in die Welt ziehen müssen. Dorthin, wo die Bewegung am wildesten
tobte: in den Krieg. Und schon wieder waren seine Gedanken dort, wohin sie
nicht sollten. Hinter den Linien seiner eigenen Fronten.
Er setzte sich auf, sein Blick fiel auf eine Visitenkarte. Er nahm sie
in die Hand und überlegte, ob er einen Termin vereinbaren sollte. Bärbel hatte
ihm die Karte gegeben. Sie selbst war auch bei dem Typen in Behandlung, die
Hypnose würde ihr sehr helfen, hatte sie gesagt.
Killian atmete durch, schwang sich aus dem Sofa und warf sich seine
Jacke über. Er musste sowieso nach Bötzingen, weil er ein paar Fotos vom
dortigen Freibad schießen wollte. Früher war es für ihn der größte Spaß
gewesen, im Regen zu baden. Das Gefühl der völligen Nässe ließ ihn zum Fisch
werden. Er schnappte seine Rolleiflex und öffnete das Schiebetor des Ateliers.
Wie ein Morlock, der aus der Unterwelt ans Tageslicht gekrochen kam,
blinzelte Killian in den zerrissenen Himmel. Die Fetzen, die sich die
Sonnenstrahlen bereits durch die Wolkendecke geschnitten hatten, blendeten ihn.
Er warf einen Blick auf die Kamera und überlegte einen Moment, ob das
Regenprojekt damit nicht beendet war. Aber das Schwimmbad wollte er doch noch
mit ihr fotografieren, ehe er wieder auf die digitale Nikon umsteigen würde. Das
Schwimmbad gehörte zum Element Wasser. Vielleicht krochen die Nebel aus den
überfluteten Wiesen, die das Schwimmbecken umgaben? Dann könnte er den Regen in
umgedrehter Bewegung fotografieren: von unten nach oben.
Er hatte lange nicht mehr mit der 6x6-Kamera fotografiert. Und zu
Beginn des Regenprojektes hätte er die Rolleiflex gerne mehrmals in tausend
Stücke zerbrochen. Zu ungewohnt war der Blick von oben, die spiegelverkehrte
Bewegung, um ein Objekt in Kadrage zu zwingen. Man musste sich Zeit nehmen, um
mit der 6x6 ein gutes Foto zu schießen. Sie forderte einen Umgang mit Zeit, die
Killians Temperament und der Art, wie er die letzten Jahre gelebt hatte, völlig
konträr lief. Jetzt war er stolz, dass er durchgehalten hatte.
Er legte die Kamera auf den Beifahrersitz seines Defenders, startete
den Wagen und fuhr langsam durch die überflutete Straße.
Aus den Kanaldeckeln der Bruckmühlenstraße gurgelte noch das
Regenwasser. Die Männer der freiwilligen Feuerwehr und des technischen
Hilfswerks stapelten unermüdlich Sandsäcke vor den gefährdeten Kellerfenstern
des denkmalgeschützten Sandsteingebäudes. Ein Fotograf des Rebland-Kuriers
mühte sich redlich, einige spektakuläre Fotos von den
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