House of God
Kommen Sie, Jungs, sehen wir sie uns an!«
Wir rannten geradezu an ihr Bett. Chuck und ich stellten uns ans Kopfende. Da er auf seine Fragen keine Antwort von Olive O. bekam, begann der Leggo mit der Untersuchung. In stummer Erwartung sahen wir ihn sanft das Laken wegziehen und dann innehalten. Es war nicht klar, ob er die Höcker bemerkt hatte. Als hielte er Zwiesprache mit dem Tod, rollte er das Nachthemd hoch, und da waren sie plötzlich, die beiden gewaltigen, weichen, wabbelnden, durchscheinenden, grünvenigen, mysteriösen und nahezu kabalistischen Höcker. Zuckte der Leggo wenigstens mit der Wimper? Nein. Viele Augen waren auf ihn gerichtet und keins konnte irgendeine Reaktion erkennen. Selbst eingefleischte, starknervige
Interns
hatten beim ersten Blick auf diese Höcker einen Anflug von Übelkeit verspürt, aber unser
Chief
rührte keine Faser. Und was machte er dann? Leise, so vorsichtig, wie eine Katze um ihr Futter herumschleicht, legte er seine rechte Hand auf den rechten Höcker und dann die linke auf den linken Höcker, und wir mußten an uns halten, um nicht vor Überraschung, Widerwillen und Abscheu loszuschreien: Tun Sie das nicht! Und was sagte unser
Chief,
was da drin sei? Nun, er sagte nichts. Er stand nur mit durchgedrückten Beinen da, die Handflächen zwei Minuten oder auch länger auf ihren Höckern. Und niemand konnte verstehen, warum. Jedenfalls war das einzige, auf das wir ihn je so hatten anspringen sehen, der Zeh von Moe und mit Pisse gefüllte, gottgegebene Dinge gewesen.
Und dann kam der letzte Tag. Erleichtert und glücklich stiefelten wir durchs
House,
verabschiedeten uns und machten lauter ausgeflippte Sachen, ein Karneval der
Interns.
Ich suchte den Dicken und fand ihn in einem Dienstzimmer, mit dem Telephon in der Hand vor drei neuen
Interns
an der Tafel stehend.
»Hallo, Murry, was gibt’s? He, großartig! Was? Ein Name? Sicher, ja, kein Problem, bleib dran.« Er wandte sich an die
Interns,
zwinkerte mir zu und fragte dann: » OK , ihr Schwachköpfe, sagt mir einen griffigen Arztnamen für eine Erfindung. Ich bin gleich soweit, Dr. Basch.«
Das war es also. Die Realität seiner Erfindungen bestand allein darin, daß sie eine Verbindung zu uns schufen, uns zeigten, daß man außerhalb der Schinderei der Hierarchien stehen und kreativ sein konnte. Er hatte uns an seinen Erfindungen teilhaben lassen, um uns durch schwere Zeiten zu helfen. Wie würde ich ihn vermissen! Mehr als irgendeiner wußte er, wie man Patienten beisteht, wie man uns beisteht. Endlich begriff ich, warum er bei der Inneren Medizin blieb: Nur die Innere konnte ihn aushalten. Belastet mit seiner Frühreife hatte der Dicke sein Leben lang die Menschen verletzt, weil er von allem zu viel war. Angefangen bei seinen verwirrten Eltern, seinen Lehrern und Freunden in der Schule, bis hin zu seinen Klassenkameraden im
College
und der
Medical School,
die sich beim Abendessen um ihn scharten, wenn er Zahlen und Gleichungen mit so genialer Brillanz auf die Serviette hinkritzelte, daß, wenn er aufstand und ging, ein wildes Gerangel um die Serviette begann, – immer war der Dicke durch seine Kraft und sein Genie von den anderen isoliert gewesen. Sein ganzes Leben hindurch hatte er sich zurücknehmen müssen. Schließlich, nachdem er zwei Jahre lang die Arbeit im
House
getestet hatte, wußte er, daß hier etwas war, das selbst er nicht knacken konnte, etwas, das ihn nicht voller Ehrfurcht und eifersüchtiger Wut ablehnen und mit jemand anderem spielen würde. Er konnte endlich austeilen, ohne jemanden zu verletzen. Er war sicher. Er würde gedeihen. Er würde aufblühen.
Der Dicke war fertig, entfloh der Menge, die sich von ihm verabschieden wollte, packte mich, schob mich in die Herrentoilette und schloß die Tür zu. Er strahlte:
»Ist das nicht klasse? Ich liebe es! Das ist wie auf Coney Island am Unabhängigkeitstag! Und morgen, Basch, die Stars!«
»Dickie, ich weiß jetzt, warum Sie in der Inneren Medizin bleiben.«
»Prima!« sagte er. »Raus damit, solange ich noch zuhören kann.«
»Das ist der einzige Beruf, der groß genug für Sie ist.«
»Ja, und wissen Sie, was die größte Scheiße dabei ist, Basch?«
»Was?«
»Am Ende ist er es vielleicht doch nicht.«
Getrommel gegen die Tür und die Rufe des Dickie-Fanclubs unterbrachen uns, und hastig fragte ich:
»Wirklich?«
»Sicher. Aber das ist das Spiel, oder?«
»Was?« Dieser gerissene Fettklops hatte mich wieder ausgetrickst.
»Es
Weitere Kostenlose Bücher