Huckleberry Finns Abenteuer und Fahrten (German Edition)
nicht, braucht's ein anderer, und eine gute Tat lohnt sich jedesmal. Der Alte zwar brauchte das Huhn immer selbst, allein das änderte nichts an seinem Wahlspruch.
Morgens, eh' der Tag kam, schlüpfte ich dann in die Felder und pumpte mir irgendeine Melone oder einen Kürbis oder andere Früchte, die mir gerade in den Weg kamen. Pumpen sei nichts Schlimmes, hatte mein Alter immer gesagt, wenn man nur die Absicht habe, es einmal heimzugeben, die Witwe aber meinte, das sei nur ein schönerer Ausdruck für Stehlen, und kein ordentlicher Mensch täte dergleichen. Jim, den ich fragte, sagte, die Witwe habe recht, der Alte aber auch, und wenn wir zwei oder drei Sachen von unserer Pumpliste strichen, zum Beispiel schlechte Wassermelonen oder saure Äpfel, und uns fest vornehmen würden, diese künftig liegen zu lassen, dann sei's wohl jedem recht gemacht, und wir könnten das übrige leichten Herzens lustig weiter nehmen. Vorher war's uns nicht ganz wohl bei der Sache gewesen, aber seit wir diesen Ausweg gefunden hatten, wurde es uns wieder ganz behaglich – Wassermelonen und saure Äpfel ließen sich ja leicht entbehren.
Ab und zu schossen wir ein vorwitziges Wasserhuhn, das sich des Morgens zu früh oder des Abends zu spät legte, kurz, wir lebten ganz behaglich, glücklich und zufrieden und freuten uns unseres Daseins.
In der fünften Nacht, als wir an St. Louis vorbei waren, kam ein furchtbares Gewitter mit Donner und Blitz, und der Regen goß wie Bindfaden herunter. Wir verkrochen uns in unsre Hütte und ließen Floß Floß sein, das schwamm von selbst weiter. Beim Schein der Blitze konnten wir sehen, daß die Ufer felsig und steil waren, und auch im Wasser zeigten sich Felsen. Auf einmal ruf ich: »Hallo, Jim, sieh mal dort hin!« Und was war's? Ein Dampfboot, das an einem der Felsen gestrandet war. Wir hielten gerade darauf los und konnten es ganz deutlich sehen beim Schein der Blitze. Ein Teil des Oberdecks ragte noch aus dem Wasser hervor, und wenn gerade ein heller Blitz kam, konnte man alles, was darauf war, deutlich erkennen, sogar einen Stuhl, der nahe bei der großen Schiffsglocke stand, samt einem Hut, der an der Lehne hing.
Puh, mich überlief's! Es war so schauerlich da draußen in der Nacht bei dem Sturm, und mir ging's, wie es jedem Jungen in meinem Alter beim Anblick des einsamen, traurigen Wracks da mitten im Strom gegangen wäre, mir gruselte, und doch wollt' ich für mein Leben gern an Bord und ein wenig dort herumschnüffeln.
»Laß uns anlegen, Jim«, bat ich.
Jim aber war zuerst taub für die Bitte und meinte: »Jim nix brauchen zu sehen auf Wrack, Jim sein gar nix neugierig. Du viel besser bleiben davon, oder du dir verbrennen die Finger. Jim nix wollen haben zu tun mit Polizei!«
»Polizei? Selbst Polizei! Was hätte denn die da zu tun? Das Deck und das Lotsenhaus zu bewachen, he? Glaubst du, irgendeiner riskiere sein Leben in einer solchen Nacht wegen ein paar alter Planken, die jeden Augenblick auseinandergerissen und weggespült werden können?« Jim glaubte das nun keineswegs und so blieb er still. »Und außerdem«, fuhr ich fort, könnten wir uns gewiß etwas aus des Kapitäns Kajüte pumpen, Jim – Zegarren , wett' ich, fünf Cents das Stück, feine Ware, Jim! Dampfboot-Kapitäne sind immer reich, Jim! Haben sechzig Dollars im Monat und fragen nicht lang, was etwas kostet, wenn sie's brauchen. Komm, steck eine Kerze ein, Jim, ich hab' keine Ruh' mehr, bis wir dort sind. Meinst du, Tom Sawyer hätte zu so was nein gesagt? Niemals! Der nicht! Der hätt's ein Abenteuer genannt, ein heldenhaftes Abenteuer , so hätt' er's genannt und wäre an Bord gegangen, wenn's auch sein Leben gekostet hätte. Und wie hätt' er sich dabei benommen! Mit Anstand, sag' ich dir! Der hätt' sich hingestellt wie Christian Klumbus, als er das tausendjährige Reich entdeckte! Ach, ich wollte, Tom wär' hier!«
Jim brummte noch etwas in seinen Bart, den er nicht hatte, und gab dann nach. Er sagte aber, wir dürften nur so wenig wie möglich reden, nur das Allernotwendigste und ganz, ganz leise. Der Blitz zeigte uns das Wrack wieder, gerade rechtzeitig, um anlegen zu können.
Das Deck ragte hier hoch empor. Wir schlichen im Dunkeln auf der schrägen Fläche nach Backbord auf die Kajüte zu, indem wir uns Schritt für Schritt behutsam vorwärtsbewegten und die Hände ausstreckten, um nirgends anzustoßen. Wir erreichten auch bald das vordere Ende des Oberlichts und kletterten in die Öffnung; noch ein paar
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