Huckleberry Finns Abenteuer und Fahrten (German Edition)
gellendes Pfeifen ertönte, Dampf zischte und qualmte, Jim wälzte sich von der einen, ich von der anderen Seite über Bord, und im selben Moment krachten und splitterten die Planken unseres Floßes, in Fetzen gerissen, auseinander.
Ich tauchte unter und suchte möglichst auf den Grund zu kommen, um das Rad des Dampfers, das über mich wegrauschte, nicht zu genieren. Eine Minute hab' ich's immer unter Wasser aushalten können, diesmal blieb ich wohl anderthalb, aber dann schoß ich auch nur so nach oben, sonst wäre ich im nächsten Moment geborsten. Als ich bis an die Schultern wieder an der Luft war, blies ich erst das Wasser aus den Nüstern und prustete und keuchte mich zurecht. Vom Dampfer konnte ich nichts mehr sehen in der argen Finsternis, hörte nur noch das Schnauben und Stampfen und fühlte die wilden Wellen. Man hatte nach ein paar Sekunden Aufenthalt die Maschine wieder in Gang gesetzt und dampfte nun davon, ohne sich weiter um das elende kleine Floß zu kümmern.
Ich rief nach Jim, wieder und wieder, aber vergebens. Weiß Gott, was aus dem armen Kerl geworden war! Eine Planke trieb auf mich zu, ich faßte sie und ließ mich eine Weile treiben, um zu ruhen und nach Jim auszuspähen. Ich konnte aber nichts entdecken, vielleicht war er doch dem Ufer zugeschwommen. Die Strömung trieb nach der linken Seite, so überließ ich mich ihr, in der Hoffnung, daß Jim es ebenso machte, und so erreichte ich denn auch nach einiger Anstrengung sicher das Ufer.
Hier lief ich hin und her und schrie: »Jim, Jim!« Aber kein Jim war zu hören und zu sehen, und endlich fiel ich todmüde und elend an einem Baum zu Boden und weinte mich in Schlaf – mir war gar so einsam und allein zumute! So öde – so verlassen von aller Welt!
17. Kapitel
Jim findet sich wieder – Floß zurückgewonnen – Neue Kameraden! – Der Herzog von Somerset – Königliches Schicksal – Eine Gebetsversammlung – Der Wolf unter den Schafen
Als ich am andern Morgen erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Ich brauchte ein paar Augenblicke, bis ich mich auf die Abenteuer der letzten Nacht besinnen konnte. Ich richtete mich auf und sah mich um, meinte, ich müsse Jims altes, treues, breites Gesicht irgendwo aus dem hohen Ufergras auftauchen sehen, aber nichts regte sich – ich rief, ein-, zweimal – alles blieb still. Da erhob ich mich mühsam und schlich mich, elend, zerschlagen und ganz mutlos, flußabwärts dem Ufer entlang. Das Wasser behielt ich scharf im Auge, vielleicht konnte ich doch wenigstens seine Leiche – ich meine Jims Leiche – entdecken und so Gewißheit darüber erlangen, was aus dem armen Kerl geworden war. Da ich nichts zu essen hatte, rebellierte mein Magen sehr gegen die weitere Entdeckungsreise am einsamen Fluß. Der Hunger hätte mich weit lieber landeinwärts, bewohnten Gegenden zu getrieben; ich aber konnte Jim nicht ohne weiteres aufgeben. Lange, lange schlenderte ich so hin, ohne das geringste zu entdecken. Ziemlich weit vor mir sah ich den Wald in scharfem Bogen bis zum Wasser hin reichen. Denk' ich, bis dahin gehst du noch, und ist Jim dort auch nicht, so hat ihn richtig die Schlangenhaut ins Unglück gebracht. Entweder ist er dann ertrunken oder aber am Ufer Leuten in die Hände gefallen, die ihn für einen der durchgebrannten Nigger gehalten und ihn festgenommen haben. So schlepp' ich mich denn noch weiter, immer auf den Wald zu. Das Ufer griff dort landzungenartig in den Fluß hinein, so daß man einen freien Ausblick auf das Wasser haben mußte. Endlich bin ich dort und schau mich um und – was seh' ich? Von Jim nichts, aber – einen Teil von unsrem Floß, dem guten, alten Floß, und zwar den größeren, mit der Hütte drauf. Die war nun freilich etwas zusammengerissen, der Dampfer war haarscharf daran hingestreift:, aber sie stand doch noch. Ich wußte gar nicht, wie mir war! Ich sank fast in die Knie vor freudiger Erregung und mußte auf allen vieren drauf zukriechen. Wie ich näher komm', seh' ich, daß das Ding sogar mit einem Seil am Ufer festgemacht ist und nicht, wie ich dachte, zufällig dort hängengeblieben war. Das macht mich stutzig! Vorsichtig kriech' ich näher und schiel' erst einmal durch einen Spalt in die Hütte hinein. Und richtig – leer war sie nicht. In der einen dunklen Ecke liegt's wie ein großer Klumpen zusammengeballt, und jetzt regt es sich – Arme und Beine und ein schwarzer Wollkopf hebt sich und – weiß Gott, ich glaub, ich hab' laut aufgeschrien, und dann muß
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