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Hüftkreisen mit Nancy

Hüftkreisen mit Nancy

Titel: Hüftkreisen mit Nancy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schwarz
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offenbar ungemein frivolen Tatsache herum und warf ein Boulevardblatt auf den Tisch, «stammt aus dem linksextremen Spektrum. Der fragliche Personenschützer liegt im Krankenhaus, wurde operiert, aber es steht zur Stunde noch nicht fest, ob er jemals wieder richtig wird schnauben können.»
    «Ich hab eben ‹schnauben› verstanden.» Bettina presste die Lippen aufeinander, während ein Glucksen in ihrem Hals herumsprang.
    «Ich habe auch ‹schnauben› gesagt», fuhr Chef ungerührt fort, «dem Mann wurde ein etwa erbsengroßes Objekt aus der Nasennebenhöhle entfernt.»
    «Was sind das nur für Menschen   …», warf Petra erschüttert ein.
    «…   die ihre politischen Ziele mit Erbsen durchsetzen wollen», ergänzte ich ebenso «erschüttert» und langte nach der bunten Zeitung, die mitten auf dem Tisch lag. Ein unscharfes Foto, vielleicht der Handyschnappschuss eines «Leserreporters». Im Hintergrund an einem Rednerpult stand, kaum noch zu erkennen, der MP, steif, in einer Art Schockstarre, und vor ihm, vornübergebeugt, ein weiß und dunkelrot besudelter Mann. Im Vordergrund wurde eine junge Frau von zwei bulligen Männern an der Bühne vorbeigeschleppt.
    «Es war keine Erbse, es war ein Kirschkern. Der MP wurde mit einer Schwarzwälder Kirschtorte beworfen. Der Bodyguard hat sich dazwischen gestellt und hat Teile der Torte vor Schreck durch die Nase eingeatmet.»
    Nergez, die mir schräg gegenübersaß, bohrte sich die Fingernägel so fest in den Handrücken, dass man den Schmerz fast hören konnte. Neben mir riss einer ein Taschentuch heraus und presste leise singend sein Gesicht hinein. Bettina wandte sich ab und starrte nach draußen. Ihre Finger spielten auf der Tischplatte Klavier. Auf diese Weise emotional halbwegs festgezurrt, folgte das Kollegium Chefs weiterer Rede.
    «Der Mann hat eine Frau und zwei Kinder. Das sollte uns nicht kaltlassen. Wir machen ein Stück über ihn im Krankenhaus. Normalerweise ein Fall für Holger, unseren Polizeireporter, aber weil der seine Doku über illegale Autorennen fertig machen muss, geb ich dir das, Max!»
    «Na ja, eh, also wirklich. Ich meine, gut und schön», nörgelte ich, «aber ist doch alles nochmal gut ausgegangen. Der MP ist heil geblieben, die Personenschützer haben ihren Job gemacht. Der Kirschkern ist aus der Nase. Ist irgendwie alles nicht so doll, oder   …?»
    Chef fixierte mich mit einem Blick, von dem er annahm, dass er ihn selbst nicht ertragen würde, wenn er sich damit im Spiegel ansähe. Zeit für ein Bekenntnis. «Wir sind ein kleiner Sender in einem kleinen Land. Wir können es uns nicht leisten, solche Dinge zu übergehen. Wir haben jetzt dieses Attentat. Wir können nicht sagen: Es ist ja fast nichts passiert. Bei uns kann es nicht heißen: Bett njus is gutt njus. Bei uns muss es heißen: Anyßink issss news.»
    Ich warf einen Blick auf die Zeitung vor mir. Die Attentäterin auf dem Foto hatte ihr Haar adrett hochgesteckt, vermutlich um den Aufpassern durchs Raster zu rutschen. Jetzt, unter dem Griff der Bodyguards, löste sich Schwall um Schwall aus der Frisur, die Haare hingen ihr schon sehr viel linksradikaler ins Gesicht. So viele Haare. «Was ist mit der Frau, der Attentäterin? Kann man die nicht   …?»
    «Einer Linksradikalen ein Podium bieten für ihre Hetzparolen?»
    «Der mündige Zuschauer wird schon   …»
    «Chaoten von links – oder rechts – erteilen wir hier eine Absage!», meinte Chef etwas auswendig. «Ende der Diskussion.»
    Was treibt Menschen mit so schönen Haaren dazu, sich gegen das System aufzulehnen? Irgendwas in mir begann, sich für dieses Thema zu interessieren.
    «Was ich meine, ist doch dies: Man sollte die Attentäterin mal konfrontieren. Mit dem, was sie angerichtet hat.Man sollte sie fragen: War es das wert? Ein Mann, ein Vater, wurde verletzt. An der Nase nur, gottlob. Aber es hätte auch das Auge sein können   …»
    Chef betrachtete mich verunsichert. Sein Instinkt sagte ihm, dass meine Interessen andere waren als die der Redaktion. Sein Verstand hingegen sagte ihm, dass dieser kleine Sender in diesem kleinen Land es sich nicht leisten konnte, auf Interesse, und sei es auch nur geheuchelt, zu verzichten. Da Chef große Achtung vor seinem Verstand hatte, begann er nun, den Kopf zu wiegen. «Das ist natürlich was anderes. Wenn wir sie über die emotionale Schiene zu packen bekommen   …», gab Chef den abgebrühten Nachrichtenmacker, um gleich wieder in seine alte Skepsis zu verfallen.

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