Hüftkreisen mit Nancy
Info-Café erinnerte mich stark an meine Studienzeit, und ich stand mit einem gewissen Respekt vor meiner damaligen Hygiene-Unempfindlichkeit in dem Laden. Es gab Sturmhauben für einen Euro (ich nahm mir vor, nachher drei mitzunehmen, bei Sport-Scheck kosteten die locker das Zehnfache, kann ich mir beim nächsten Skiurlaub drei Speckknödel mehr auftun) und Zeitungsständer mit rotschwarzen Agitprop-Illustrationen, auf denen sich Arbeiterfäuste ballten, als strömten noch heuer die Massen in der Früh beim Pfiff der Werkssirene durchs Fabriktor.
Rikki war nicht da. Ein Schlaks mit einem Kinnbart empfing uns. Er hatte feuchte Hände. «Hallo! Ich bin Veith. Ich vertrete das Koordinationskomitee.»
Ich zeigte mich ratlos.
«Das Koordinationskomitee koordiniert die Aktionen der verschiedenen Gruppen. Also, jetzt nicht so von oben, sondern wir versuchen die einzelnen Initiativen zu bündeln. Die
ACA
, also die
Anarchistische Clown Armee
, ist ja nur eine, wir haben eine Menge Leute, die hier Aktionen machen, bi-schwul-lesbische Aktivisten, militante – wie Rikki zum Beispiel –, aber auch nichtmilitante, Leute aus dem radikalen Tierschutz,
Phytorebellen
, Rauchverbotsverweigerer. Wir grenzen niemand …»
«
Phytorebellen?
Ich bin nicht mehr ganz auf dem Laufenden. Ist schon ’ne Weile her, dass ich gegen irgendwas war.»
«Das kommt aus der schweizerischen Pflanzenrechtsbewegung, die für den Eigenwert der Pflanzen kämpft. Pflanzenals Wesen, die ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und eine eigene Würde haben. Ich geb Ihnen eine Broschüre, wenn Sie das interessiert.»
«
Phytorebellen
klingt cool», sagte ich und sah zu Manne rüber, der gerade mit seinem Taschenmesser einen Apfel klein schnitt und sich die Schnitze bedächtig mit der Messerspitze in den Mund schob, wie es nur Männer tun, die vor 1977 einen technischen Beruf erlernt haben, seit dreißig Jahren mit derselben Frau verheiratet sind und klemmende Geschirrspülertüren und Waschmaschinenunwuchten
grundsätzlich
selbst reparieren.
«Wenn unser Kameramann hier einen Apfel isst, geht das aber in Ordnung?», fragte ich vorsichtig.
«Gegen Apfel ist nichts zu sagen, der Verzehr dient ja der Samenverbreitung.»
Ich erinnerte mich. Echt tricky, diese Pflanzen. Wir denken: Lecker Apfel! Dabei sind wir nur nützliche Idioten. Ich wandte mich Manne zu. «Also, Manne, hast gehört: Nachher nicht auf den Pott wie immer, sondern schön hintern Busch und Samen verbreiten.»
Veith ließ sich nicht irritieren. Er war Witze gewöhnt. «Es geht ja ums Prinzip. Anders wäre das schon bei einer Möhre. Die Möhre speichert in dem Teil, den wir essen, Energie für die Blüte und den Samen im nächsten Jahr. Wenn man Möhren isst, na … Denken Sie mal selbst drüber nach.»
Ich kam nicht dazu. Die Tür flog auf, und Rikki Schroedel kam herein. Kleiner, als ich sie mir vorgestellt hatte, geradezu proper, in einem türkisfarbenen Pullover und umgeben von wahren Fahnen wehenden Haares. Sie hielt eine Zigarette zwischen den gelben Fingerspitzen der linken Hand und reichte ihre zierliche Rechte etwas unwirsch herum.
«Guten Tag, Frau Schroedel», sagte ich freundlich, in formlosen Milieus mit guten Manieren zu punkten schien mir eine gute Idee zu sein. «Ihr Kollege hier war gerade dabei, mir die Pflanzenrechtsproblematik näherzubringen», plauderte ich sie an. Rikki ging nicht darauf ein. Sie sagte, dass sie Fernsehaufnahmen nur vor dem Plakat der
Anarchistischen Clown Armee
zu machen gedenke und dass sie eine Erklärung verlesen werde. Herrisch warf sie ihren Kopf nach hinten. Ihr Haar war dunkel, sehr schwer und glänzender als alles Haar, das ich je in meinem Leben gesehen hatte. Es floss in langen Wellen über ihre Schultern.
«Gibt es damit irgendwelche Probleme?», fragte Rikki schließlich, vermutlich hatte ich sie etwas zu lange fixiert.
«Liebe Frau Schroedel», antwortete ich und konnte meinen Blick nicht von der Pracht losreißen, «mir schwebt da eher so eine Art Gespräch vor, eine zwanglose Erörterung. Ich stelle ein paar Fragen, Sie antworten …»
«Es gibt nichts zu erörtern. Ich bin nicht naiv, Herr Krenke! Ich weiß, wie kapitalistische Medien funktionieren. Das hier wird keine Homestory oder sonst ein albernes Porträt, und ich will Ihnen auch nicht meine Plattensammlung zeigen. Wenn Sie wissen wollen, was ich zu dem Tortenwurf auf den Ministerpräsidenten zu sagen habe, dann stellen Sie Ihre Kamera dort hinten auf, und
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