Hüftkreisen mit Nancy
«Aber das geht über meinen Tisch, klar? Ich will das Stück vorher sehen. Nur, dass wir uns verstehen. Keine Witzchen, keine Ironie. Attentat ist Attentat.»
«Na aber, das versteht sich doch von selbst, Chef!», salutierte ich.
Nach der Konferenz kehrte ich mit großen Schritten ins Großraumbüro zurück, knackte munter mit meinen Fingern, telefonierte aufgeräumt mit dem Krankenhaus, in dem der Leibwächter lag, und klickte mich pfeifend und singend durch die linken Webseiten, auf denen das vergurkte Attentat samt «Bekennerschreiben» aufgeführt wurde. Ich legte die Beine auf den Tisch und schrieb lässig ein paar E-Mails mit der Bitte um Kontakt zur Tortenwerferin. Bettina stand auf, kam vorbei und roch an meinem Kaffeepott. «Am Kaffee liegt’s nicht», verkündete sie und ging wieder. Ich klingelte bei der Produktion an und erkundigte mich, ob ich ein paar Spezialleuchten mit auf den Dreh nehmen könne. Die Produktion zögerte, die teuren Teile herauszugeben. «Kommtschon, habt euch nicht so!», drängelte ich. «Ich muss ein Interviewbild ausleuchten. Mit den ollen Funzeln kommen doch Haare überhaupt nicht zur Geltung.» Im Großraumbüro kamen etliche Gesichter hinter den Monitoren hervor. Fragende Blicke wurden ausgetauscht. Ein paar Leute tuschelten. Die Produktion willigte schließlich mürrisch ein, mir die Spezialleuchten zu geben. Ich rieb mir die Hände, sprang auf und eilte davon. Die anderen sahen mir nach. Wenn man zweiundvierzig Jahre alt ist und plötzlich Freude an der Arbeit hat, stimmt irgendwas nicht.
«Wissen Sie, was das Schlimmste ist?», fragte mich Pitt, der Bodyguard, und fiepte leise. Er lag breit, kurzhaarig und stiernackig und mit bepflasterter Nase auf seinem Krankenhausbett und konnte sich im Angesicht des Fernsehteams nicht gleich entscheiden, ob er nun leicht oder schwer verletzt sein sollte. Schließlich siegte aber das Drama über die Komödie, und er tastete matt nach der Fernbedienung und ließ das Kopfteil surrend hochfahren, um sich beim Sprechen nicht zu überanstrengen. Pitt hieß eigentlich Peter, legte aber Wert darauf, dass ich ihn mit seinem Spitznamen anredete. «Alle sagen Pitt zu mir. Pitt wie Pittbull, verstehen Sie?» Ich lachte kurz und riss die Augen auf, um ihm zu zeigen, wie originell das war und dass ich Personenschützer überhaupt für genau die derben Burschen hielt, für die sie selbst sich hielten. «Wissen Sie, was das Schlimmste ist?», fiepte «Pitt» noch einmal, und ich wusste es nicht. «Dass man niemandem mehr trauen kann.» Ich nickte. «Da kommt so eine Püppi, und du denkst dir erst mal nix. Hat so einen Karton dabei. Du denkst, irgendein Geschenk. Nicht angemeldet, keiner weiß von nix, aber gut. Willst ja kein Unmenschsein. Erst als sie schon auf der Bühne war, da hatte ich so ein Gefühl. Ich mach ja den Job schon paar Jahre. Und irgendwie war mir wie: Die ist nicht von der CDU. Und dann plötzlich zack!» Traumatisiert holte Pitt fiepend Luft, und ich stellte mir sofort eine Reihe delikater Situationen vor, in denen ich, mit dem Laken meine Blöße bedeckend, entsetzt zurücksprang und ausrief: «Du bist gar nicht von der CDU!» Ich stöhnte leise. Pitt fühlte sich verstanden. «Ich hab Kinder», sagte Pitt und seufzte mit dem abpfeifenden Geräusch eines gerade von der Flamme genommenen Teekessels. «Was ist, wenn sie demnächst Kinder gegen uns einsetzen? Soll ich Kindern nicht mehr trauen?»
«Was ist mit diesem Fiepen? Sie haben so ein Geräusch beim Atmen!»
«Das ist von der OP. Von dem Kirschkern, den sie mir rausgeholt haben.»
«Geht das wieder weg?»
«Da sagt jeder was anderes! Ich kann nur hoffen. Berufsmäßig. Wer will schon ständig einen Typen neben sich stehen haben, der solche Geräusche macht.»
Jetzt tat er mir doch richtig leid. Chef hatte recht. Politische Aktionen sollten immer so ablaufen, dass niemand am Ende fiepen muss.
«So, Jungs, an die Arbeit», straffte ich mich. «Schwester, können Sie uns mal den Gefallen tun und ihm den ganzen Kopf verbinden. So eine kleine Pflasterkompresse, das sieht im Fernsehen nicht aus.»
Rikki Schroedel, die Torten-Attenäterin, war nicht schwer zu finden.
Ihre Gruppe nannte sich im ebenso größenwahnsinnigenwie widersinnigen Duktus linker Namensfindungsvorschriften
Anarchistische Clown Armee
und logierte in einem alten Eckhaus im Süden der Stadt. Der Geruch von alten Dielen, Ölfarbe, kalten Kippen, Bierdunst, Teppich- und Sofamuff im dortigen
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