Hüftkreisen mit Nancy
Honorar anzutreten, das er mir nun zahlen werde.
«Schon gut», meinte ich.
Meine Kooperationsbereitschaft enttäuschte Chef. «Ich verstehe deinen Frust», lockte er, «du bist ein Top-Journalist. Du könntest anderswo das Zehnfache verdienen. Das ist ganz klar unter deinen Möglichkeiten, aber was anderes habe ich nicht für dich.»
‹Nein, nein, ich muss hier wieder rein›, dachte ich. ‹Ich brauche euch noch. Ich habe hier noch zu tun. Irgendwann gehe ich vielleicht wieder, aber dann, weil ich das will.› – «Ich hänge einfach an dem Laden», seufzte ich und registrierte, dass es weniger gekünstelt klang als beabsichtigt.
Chef meinte, das sei sicher auch Teil meiner Erkrankung, aber egal. Bettina habe schon eine Liste mit interessanten Senioren zusammengestellt. Ich solle mal bei ihr vorbeigehen.
Bettina war nicht am Platz, aber Nergez. Zögerlich blieb ich in der Tür stehen. Sie telefonierte mit einem Restaurant, in dem man das Essen im Dunkeln vorgesetzt bekam. Verbesserte angeblich die Sensorik. «Bekleckern sich da nicht achtzig Prozent der Gäste von oben bis unten?», fragte sie,nickte dann ihrem unsichtbaren Gesprächspartner mehrfach zu und propellerte mit der Hand, zum Zeichen, er möge endlich auf den Punkt kommen. Als sie mich sah, riss sie glücklich die Augen auf und winkte. Ich winkte kurz zurück und wurde von dem Wunsch, dass sie niemals heiraten möge, fast in die Knie gezwungen. Es war bekloppt. Es war alles wie immer. Vielleicht erzeugen bestimmte Orte ein bestimmtes Verhalten. Vielleicht hat man gar keine Chance. Als Nergez aufgelegt hatte, klatschte sie in die Hände. «Schätzchen! Ich hätte nie gedacht, dass du nochmal wiederkommst! Was machst du hier? Bleibst du? Warst du schon beim Chef? Was hat er gesagt? Stimmt es, dass du jetzt immer Tabletten nehmen musst? Hey, war nur Spaß! Wie siehst du überhaupt aus? Was hast du da unter deinem T-Shirt ? Sind das Muckis? Komm doch mal her und lass dich anschauen!»
Ich ging rüber zu ihrem Tisch und setzte mich ihr gegenüber. Sie erzählte, wie Silvia endlich schwanger geworden war, wie Holger mit einer Herzattacke ins Krankenhaus gekommen war und Bettina beim Aalgreifen gewonnen hatte, obwohl sie eigentlich nur einen Bericht über das Paatzer Fischerfest machen sollte. Nergez hatte eine gelb-braune Wickeljacke an und sah ein bisschen erkältet aus. «Die mussten alle mit dem Fahrrad an dem Bottich vorbeiradeln», plauderte sie, «und dann rein mit der Hand und den Aal packen. Und Bettina mit ihrer Klopfote, sorry, aber isso, rein und gleich zwei. Voll der Powergriff, kennst sie ja.»
Auf dem Tisch neben mir lagen Ratgeberzeitschriften, ein paar Listen, das Buch «Gefahr aus der Achselhöhle – wie Deodorants unsere Gesundheit zerstören» und eine Plastikdose mit Möhrenstücken drin – Kruschiks Platz. Neben dem Stuhl stand seine Tasche. Ich sah zur Tür, lehnte mich entspanntzur Seite, lachte Nergez an, langte nach unten und öffnete Kruschiks Tasche. Schreibzeug, ein Labello (der letzte Trost der Ungeküssten) und ein paar Bücher, Rätselhefte. Kruschik interessierte sich für Mathematik, für Knobelaufgaben. Ich klappte die Tasche sofort wieder zu. Man soll sein Glück nicht herausfordern.
«Sag doch mal», forderte Nergez, «was ist denn jetzt mit dir?»
Ich erklärte ihr, dass ich die Altenserie betreuen werde. Nergez prustete kurz. «Chef hasst dich.»
«Nein, er hat ja recht. Ich mache ihm nur seinen Laden kaputt. Ich an seiner Stelle würde auch versuchen, mich loszuwerden.»
«Warum bist dann wieder hier?»
«Ich möchte mich gern rächen», sagte ich freundlich.
Nergez presste die Lippen aufeinander, senkte den Blick, ihr Stift pochte nervös auf die Tischplatte. Dann schlug sie auf sehr anatolische Weise die Augen auf und sah durch meine Pupillen hindurch in die düstere Mitte meines Kopfes, genau ins Reptilienhirn.
«Ah, der Erlöser!», rief es von der Tür. Bettina, zwei strotzvoll geheftete Aktenordner unter dem Arm, kam auf mich zu und warf sie vor mir auf den Tisch. «Drei Wochen meines Lebens liegen vor dir. Erlöse mich von diesem Übel! Ich habe mit jedem verdammten Rentner dieses unseres Landes telefoniert. Die guten Geschichten haben rote Fähnchen. Hier …», sie beugte sich in ihrer ganz germanischen Rotblondheit über mich und schlug einen Ordner auf, «Paul Banske, 82 Jahre, noch recht kregel, ehemals Besamer, erzählt putzig über die Einführung der Brunstsynchronisation
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