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Hüftkreisen mit Nancy

Hüftkreisen mit Nancy

Titel: Hüftkreisen mit Nancy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schwarz
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unschönen Gefühl, es nicht mehr ohne weiteres wieder verlassen zu können. Die Wohnung im zweiten Stock links stand offen. Ich ging an der halb offenen Toilette vorbei, ein Schild zwang zum Sitzen, obwohl die Brille vom Scheitern der gemeinsam beschlossenen Reinigungspläne kündete. In der Küche war seit Entdeckung des Porzellans nicht mehr abgewaschen worden. Aber ich war nicht die Goldmarie, die allen Übeln auf ihrem Weg abhilft, und deshalb schrittich langsam weiter. «Hä?», sprach mich ein junger, nackter und beneidenswert fettarmer Mann an, der mit einer leeren Zweiliterflasche Cola in der Hand aus dem der Küche gegenüberliegenden Zimmer kam. Er zog einen süßlichen Dunst hinter sich her, den mein Vater nicht hätte identifizieren können. «Ich suche Rikki», sagte ich. Er musterte mich von oben bis unten. «Sind Sie auf Annonce?», fragte der Mann mit flimmernden Augenlidern, «Wollen Sie sie heiraten oder so was?» Ich verneinte freundlich und sagte, es wäre was Dienstliches. «Was Dienstliches, oho!», echote der junge Mann, als begrüße er ein neues Wort in diesen Mauern. Dann zeigte er auf die Tür am Ende des Flurs und ging sich eine neue Flasche Cola holen. Frühstück der Robusten.
    Ich klopfte leise an Rikkis Zimmer, und als sich nichts tat, drückte ich die Klinke und trat ein. Die beiden Fenster waren lose mit Alufolien abgedunkelt, aber an den Rändern gleißte jetzt, es war halb zehn, das Sonnenlicht und bestrahlte das Zimmer mit vier Fächern Helligkeit. Das Zimmer war klein, eine Wand wurde von einem bäuerlichen Kleiderschrank fast vollständig verdeckt, an dessen mir abgewandter Seite ein Hockeyschläger hervorlugte, was mich zugleich verwirrte und amüsierte. Zwischen den Fenstern stand ein Stehpult, eingelassen in einen Hügel von Zeitungs- und Zeitschriftenstapeln. An der anderen Wand stand ein Kastenbett, eine Buchte aus Bauholzbrettern, wie sie zum Abstützen von Gruben und Rohrleitungsschächten benutzt werden. Oder besser gesagt, hatten benutzt werden sollen, bevor irgendein Tiefbauleiter dieser Stadt sich eines Morgens die Augen rieb. Vor dem Bett stand eine Art Käfig mit ein paar Büchern und allerlei Rauchzeug drauf. Im Bett lag Rikki unter gelb-grüner, großformatig floraler Bettwäsche. Vom Schlaf vollständiggelähmt. Ein Haufen Haare, der leise vor sich hin schnorchelte wie ein Igel im Winterschlaf.
    «Hallo!», sagte ich und «Guten Morgen!» und «Rikki?» und «Rikki, hier ist Besuch für Sie.»
    Etwas bewegte sich unter den Haaren.
    «Entschuldigung, darf man stören? Ich bin es. Max Krenke. Der Mann vom Landfunk.»
    Rikki regte sich, schob die Haare beiseite, um überhaupt etwas sehen zu können, sagte verschlafen: «Ja, ja, nicht so schnell, Mann!», und griff nach einer polnischen Zigarettenschachtel, die auf Polnisch vor einem langsamen, qualvollen Tod warnte. Ich fand die Warnung auf Polnisch viel deutlicher, denn wenn man sich den Satz konsonantengetreu vorlas, klang er schon wie Hustenreiz und Auswurf. Kein Wunder, dass die Polen eine andere Aussprache benutzten. Rikki setzte sich hin, steckte sich eine an, sah mich, sah auf meine Blumen. Sie wachte auf. «Na super! Kenianische Kinderarbeitsrosen!»
    «Für Sie! Als Entschuldigung!»
    «Ich muss gleich kotzen.»
    «Wo kann ich die Blumen hinstellen?»
    Rikki winkte qualmend die Blumen zu sich, nahm sie mir ab und warf sie, ohne sie eines Blickes zu würdigen, in den Papierkorb hinter dem Bett. Gut, dass es ein Tankstellenstrauß war.
    «Das ist Giftmüll, schon gewusst?»
    Ich bemerkte mit Genugtuung, dass ich ziemlich unempfindlich gegen ihre drastischen Repliken war. Ich war ein Mann mit einem Ziel. «Ich habe Sie aufgesucht, weil ich noch einmal erklären wollte, dass der Vorfall mit dem Haar, wie soll ich es sagen, mit Ihrem Haar in dem Infoladen,dass mir das gewissermaßen nicht zustand und dass es mir leidtut, dass meine Uhr sich im Haar verfangen hat, und dass   …»
    «Von was für einer Uhr reden Sie? Da war keine Uhr.»
    Vielleicht sollte ich das mit der Uhr einfach vergessen. Vielleicht hatte ich überhaupt nie eine Uhr besessen. Vielleicht war dies der Traum eines Mannes, der sich immer eine Uhr gewünscht hatte.
    «Und es hatte auch mit meinem Haar nichts zu tun», sagte Rikki seelenruhig und lockerte ihr Haar mit beiden Händen, als wolle sie meine Hirnrinde mit gegensätzlichen Impulsen kurzschließen. «Ich hab Ihnen in die Eier getreten, weil Sie es verdient hatten.»
    Das war nicht ganz

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