Hüftkreisen mit Nancy
Signal von draußen bekommt, dass es sich nur um einen Traum handelt. Ich rang nach Luft und Leben und war schon dabei, zu verrecken, als plötzlich jemand über mir ins Wasser sprang und mit kräftigen Schwimmstößen zu mir heruntertauchte. Ich konnte nicht erkennen, wer es war, aber zwei Mädchenhände fassten mein Gesicht, zwei Lippen setzten sich auf meine, und dann blies mir die Taucherin ihre Atemluft in die Lunge und verschwand wieder nach oben. Zu meinen gefesselten Füßen gründelten Karpfen bedächtig durch den Schlick, als wäre gefesselt Ertrinken in diesem Gewässer das Übliche. Wieder begann ich zu ersticken, und wieder kam die Taucherin heruntergetaucht und beatmete mich hingebungsvoll. Ihre dunklen Haare wellten wie Tang um ihr Gesicht, und ich fragte mich zappelnd, wie lange sie das noch machen würde. Mich am Leben erhalten, ohne mich retten zu können. Sie tauchte wieder vor mein Gesicht, sich mit den rudernden Händen auf meiner Höhe haltend, und wieder pressten wir die Münder aufeinander, ich saugte mit letzter Kraft ihren kleinen Atem in meine Lungen, und nach oben trieb sie davon. Dann wurde mir schwarz vor Augen, verzweifelt schlug ich um mich – und kam vor nackter Angst spitz keuchend zu Bewusstsein. Das Bettzeug war schweißnass. Ich strampelte mich frei und setzte mich auf die Bettkante. «O Gottogottogott, o Gottogottogott», sprach ich das einzige Mantra, das mir einfiel. MeinHerz schlug wie ein Lappen hin und her, und ich fühlte mich, als seien meine Eingeweide in Auflösung. Ich tastete nach dem Nachtschränkchen und knipste das Licht an und aus und wieder an, weil ich so zitterte. Der Traum sollte doch hoffentlich nichts bedeuten? Das würde ich lieber nicht analysieren. Es war viel zu klar und zu drastisch. Sterbenmüssen und Küssen. Angekettet ersticken. Da blinken und hupen ja die Gänsefüßchen. Traumdeutung für die Vorschule. Ich rieb meine Oberschenkel und stöhnte mich in die Normalität zurück. Scheiß schlechtes Gewissen! Jetzt bloß nicht die Nerven verlieren und wieder zurückziehen. Wer war das Mädchen mit den dunklen Haaren? Das nasse Bettlaken wurde kalt. Ich ging zum Schrank und holte neue Bettwäsche. Und dann diese widerlich gleichgültigen Karpfen. Demnächst gibt es Karpfen blau mit Apfelmeerrettich, und wenn die Kinder noch so trotzen – wollen doch mal sehen.
Am nächsten Morgen, nachdem ich Mascha in die Kita gebracht hatte, machte ich mir einen großen Vormittagskaffee und begann, einen Artikel über die lebensverlängernde Wirkung von Spermidin zu lesen (findet sich neben dem Ursprungsort auch in Pampelmusen und sogar in Weizenkleie, na ja, das Zeug sah mir immer schon verdächtig aus), als ich plötzlich eine Eingebung hatte. Das im Wasser wallende Haar des unbekannten Mädchens aus meinem Traum verwandelte sich bei Tageslicht in klatschnasses Haar, das nichts dringender brauchte als einen Föhn. Ich ging ins Bad und stellte mich mit dem angeschalteten Föhn vor den Spiegel. Sah gar nicht schlecht aus. Leider war es ein billiger Reiseföhn, der elend vor sich hin plärrte, sodass ich beinah das Telefonklingeln nicht gehört hätte. Chefs Sekretärinwar dran und stellte sich so förmlich vor, als telefoniere sie nicht mit einem ehemaligen Mitarbeiter, sondern mit dem Presse-Attaché des japanischen Tennos. Chef habe – unter bestimmten Bedingungen – wieder Arbeit für mich, und ich solle morgen zum Dienst antreten. Ich fragte, ob irgendeine Grippe oder ein Streik ausgebrochen und das Personal knapp sei. «Nein, wieso?», flötete die Sekretärin ins Telefon, um dann sehr höflich und sehr deutlich «Auf Wiedersehen und einen schönen Tag noch, Frau Wedemeyer!» in den Raum hinter sich zu sprechen. Ach, so war das. Mein Leben fügte sich wieder zusammen, und ich war mir nicht sicher, ob ich das gut finden sollte. So, wie es jetzt lief, hätte ich mein Leben mit Nancy und Muskelgruppentraining verbringen können. Ich war auf dem Weg zum Sixpack (ich musste nur noch auf Alkohol, Zucker, Kartoffeln, Mehlprodukte und Trockenfrüchte verzichten), und sogar der schwierig herauszuarbeitende, aber effektvolle vordere Sägemuskel ließ sich schon blicken. Aber andererseits ging mein Geld zur Neige, und durch die Gegend zu reportern war allemal besser als Taxifahren oder vor irgendwelchen Discos an der Tür zu stehen. Zumal es eine kleine Tür hätte sein müssen.
17
Kurz vor Mittag kam Dorit. Müde, etwas gereizt. Die
ImmoWorld
war nicht so
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