Hüftkreisen mit Nancy
…»
«Interessiert doch keine Sau», sagte ich.
«Würd ich so nicht sagen», erwiderte Bettina beleidigt. Immerhin ginge es um nichts anderes als Schweinemast. Vor der Einführung der Brunstsynchronisation wurden die Sauen rauschig, wann sie wollten, und erst durch die industrielle Hormongabe konnte man den Duldungsreflex bei Zuchtsauen künstlich herstellen. Eine große Arbeitserleichterung für die Besamer. Ich wollte sie unterbrechen, aber Bettina kam mir zuvor. «Gib dir keine Mühe. Ich hab alle Witze schon gehört. Nimm es mit und beeindrucke deine Kumpels mit dem Duldungsreflex. Da habt ihr gut zu wiehern.»
Ich hatte ihr eigentlich nur erzählen wollen, wie meine Oma dem ersten Besamer, der ins Dorf kam, einen Stuhl in den Stall gestellt hatte, «damit er seine Hose drüberlegen könne», und ihn dann verschämt allein gelassen hatte. Aber bitte.
Nergez hatte sich abgewandt und tippte irgendwas in den Computer. Sie interessierte sich nicht für Schweinefleisch. Bettina empfahl mir noch die schon sehr betagte Gründerin des Mandolinenorchesters Gleuchen und einen Exförster des Staatsjagdgebietes, der die abgeworfenen Stangen der Staatshirsche in den Westen geschmuggelt hatte. Ich dankte ihr vielmals, klappte den Ordner zu, wusste nicht, wohin damit, und ging zur Sekretärin, um mir eines neues Fach im Autorenschrank zuweisen zu lassen. Chefs Sekretärin sortierte gerade irgendwelche E-Mails , als plötzlich auf ihrem Bildschirm eine Meldung aufploppte. «Ach ja», meinte sie, «den Geburtstag feiern wir in der Zehn-Uhr-Runde ab. Da muss ich noch was Süßes aus der Kantine holen.»
Ich sagte, das sei ja wohl neu, und Chefs Sekretärin bestätigte dies. Chef habe nach einem Führungsseminar diekleine Geburtstagsgratulation für jeden Kollegen angeordnet, um den innerredaktionellen Zusammenhalt zu stärken. Der Gedanke sei, dass sich die Kollegen in der Redaktion wie in einer große Familie fühlten. Vermutlich war Chefs Kalkül, dass man in einer Familie keine höheren Honorare forderte. «Er hat die Idee, ich hab die Arbeit», klagte sie. Ich fragte, ob denn ich in diesem Geburtstagskalender noch oder schon wieder erfasst sei, und sie sah nach. Zu meiner Überraschung war ich drin, und zu meiner noch viel größeren Überraschung sah ich, dass Kruschik, die alte Ratte, am Freitag der laufenden Kalenderwoche Geburtstag hatte. Und zwar schon seit zweiunddreißig Jahren. Aber es gibt keine Zufälle, es gibt nur das größere Blickfeld eines suchenden Geistes. Der Rest war Tat. Als Chefs Sekretärin sich nach dem Essen ihren Verdauungskaffee holte, ging ich, hochrot vor Verbrecherscham, an den Computer, rief die Geburtstagsdatei auf und löschte Kruschiks Geburtstag. So einfach kann man sich den Wunsch, nie geboren worden zu sein, erfüllen. War das jetzt schon die aktive Bedürfnisbefriedigung, die Nancy meinte?
18
Ich machte mir nichts vor. Kruschik aus dem Geburtstagskreis zu schubsen bewegte sich durchaus noch im Rahmen eines Streiches unter Kollegen. Rikki Schroedel zu besuchen und mit meinen Absichten zu konfrontieren war dagegen eine Unternehmung, die eine andere Sorte Mut erforderte.
Rikki Schroedel wohnte in der Grünholmstraße in einem komplett sanierungsbedürftigen Haus aus roten, schmutzigen Klinkern. Nicht wirklich besetzt. Wäre ja auch lächerlich, bei dem Leerstand. Die Stadt vergab die unvermietbar gewordenen Häuser zum Trockenhalten an Studenten und andere gegen Schwarzschimmel unempfindliche Personen. Das Haus war verschlossen. Es gab ein Klingelbrett, aber die Klingeln sahen kaputt aus. Ich probierte alle. Ohne Erfolg. Dann stand ich rum. Die morgendliche Polonaise von Pendlern und Liefertrucks zog im Rhythmus der Ampelstopps auf der Ausfallstraße an mir vorbei. Fahrer glotzten. Ein Mann von zweiundvierzig Jahren in einem flamingofarbenen Hemd und Jeans, an den Füßen weinrote Cowboystiefel aus Büffelhodenleder, in der Hand gelbe Rosen in Zellophan, vor einem Abrisshaus, auf dessen Wand «Stieli bleibt!» gesprüht war. Ich sah aus wie eines der Zeichen, die Gott zu schicken pflegt, um den Gerechten mitzuteilen, dass das Ende der Zeiten nah ist. Dann endlich, nach einer halben Stunde, ging die Haustür auf, und ein junger Mann schob sein Rad heraus. Ich sagte, dass ich zu Rikki Schroedel wolle. Er überlegte, sprach dann «ach die!» und schickte mich in den zweiten Stock links. Dann sagte er, dass er hinter mir wieder abschließen müsse, und ich trat in das Haus mit dem
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