Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Huehnerhoelle

Huehnerhoelle

Titel: Huehnerhoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Beckmann
Vom Netzwerk:
Morgenrock hing ihr nur noch locker um die Schultern, eine kleine Brust riskierte neugierig mit einem großen braunen Auge einen Blick über den seidenen Rand ihres Unterrocks hinaus in die Freiheit. Kevin zuckte plötzlich heftig mit der rechten Hand, als könne er sich kaum zurückhalten, sie wieder an Ort und Stelle zu rücken.
    Hufeland begriff zwei Dinge. Erstens, warum Silke Kock noch nicht bei ihrem toten Mann gewesen war, obwohl Wagner sie längst informiert hatte. Zweitens, dass diese Frau natürlich alles andere als vernehmungsfähig war. Eigentlich konnten sie gleich wieder gehen. Möglichweise sollten sie aber einen Polizeipsychologen informieren? Oder den örtlichen Pfarrer? Oder den Arzt?
    Er ging in die Hocke und fragte ihren blondierten Scheitel: »Wie geht’s Ihnen, Frau Kock? Möchten Sie, dass wir einen Arzt rufen?«
    Der Scheitel rollte langsam nach hinten, und nacheinander erschienen die krause Stirn, die trüben grauen Augen, die spitze, triefende Nase und der große, schmale Mund der Witwe.
    Â»Nä!«, krächzte sie. »Brauch ich nicht. Keinen kann ich brauchen. Haut alle ab!«
    Hufeland erhob sich wieder. Die Knie knackten vernehmlich, und im Schritt spürte er wieder ein schmerzhaftes Spannen und das beunruhigende Taubeneigefühl.
    Â»Die Dame ist fertig«, sagte Kevin laut, aber durchaus mitfühlend.
    Silke Kock nickte schwer dazu und ließ den Kopf wieder nach vorn sinken, bis das spitze Kinn auf der knochigen Brust aufschlug.
    Hufeland machte einen Schritt zurück und ließ seinen Blick kreisen. Das Wohnzimmer war für seine Größe spärlich möbliert und bis auf die schwarze Ledergarnitur ganz in Weiß gehalten. Wie der Klinkerstein der Hausfassade und der Kies im Vorgarten (und auf dem Doppelgrab). Die gesamte Längsseite des Raums nahm ein weißes Bücherregal ein, voll leinen- oder ledergebundener alter Schinken mit goldbedruckten Buchrücken.
    Dass der Hühnermäster oder seine Frau leidenschaftlich gern deutsche, griechische und lateinische Klassiker lasen, durfte bezweifelt werden. Vielleicht, überlegte Hufeland, hatte Kock die Bücher meterweise bei demselben Münsteraner Antiquar neben dem Borchert-Theater gekauft, das er gelegentlich selbst besuchte. Der Altbuchhändler, eher ein antiquarischer Discounter, verkaufte seine schmucke Ware, besonders nach neuen Haushaltsauflösungen, oftmals zum Kilopreis.
    Die Krönung des Zimmers stellte zweifellos der blank polierte weiße Flügel dar, der auf einer Empore den hinteren Teil des Raums einnahm.
    Â»Sie spielen Klavier?«, fragte Hufeland versuchsweise die Witwe.
    Â»Nä.« Sie pendelte leicht den Kopf.
    Â»Ihr Mann? Spielte er?«
    Â»Nä … nur … nur Skat … ab und zu.«
    Plötzlich raffte sie sich aus ihrem Sessel auf. Kalkweiß im Gesicht und würgend, stierte sie Hufeland und Kuczmanik an wie zwei böse Geister in ihrem Haus. Als hätte sie die beiden gerade jetzt, in diesem Moment, erst bemerkt. Dann manövrierte sie sich steil nach links und stakste mit beschleunigten Schritten auf den Flur zu. Doch sie schaffte es nicht mehr bis ins Bad. Noch vor dem gemauerten Rundbogen, der das Wohnzimmer mit dem Flur verband, übergab sie sich in hohem Bogen das erste Mal. Sie torkelte weiter auf die Bücherwand zu und erbrach dort ihre letzte Mahlzeit (den Details nach zu urteilen vermutlich das Frühstück) längs und quer über die gesammelten Werke der Weimarer Klassik: Goethe und Schiller in drei Dutzend wunderschönen, schweinsledernen Bänden.
    Hufeland blutete das Herz.
    Sie eilten zu ihr hin und stützten sie an den Armen.
    Â»Hol den Wagner, Kevin. Der kennt sie und kann sich um sie kümmern.«
    Kevin Kuczmanik gab der Dame ihren rechten Arm zurück. Er fiel herunter wie ein toter Ast, und Hufeland sah sich gezwungen, die Frau wie ein tölpelhafter Tänzer ganz zu umarmen. Sie war so schlaff und biegsam, dass er sich vorkam, als hielte er eine von diesen Puppen aus dem Beate-Uhse-Sortiment. Falls die biegsam waren .
    Â»Steht Ihnen gut, die Frau«, gackerte Kevin und stampfte über die schweren Teppiche im Flur hinaus, um Wagner zu rufen.

13
    Hufeland hatte buchstäblich die Nase voll. Er glaubte noch immer den Geruch von frisch Erbrochenem einzuatmen, obwohl er mit Kevin Kuczmanik längst wieder draußen neben den Autos stand. Wagner

Weitere Kostenlose Bücher