Huehnerhoelle
lassen würde. Dann. Wenn. Aber eigentlich sah er seine Asche im Geist nicht auf einem Friedhof, sondern lieber irgendwo in freier Natur, unter einem bemoosten Naturstein, mit der Einladung an den müden Wanderer auf einer kleinen gravierten Plakette: »Setz dich, machâs dir bequem! Ich beiÃe nicht mehr. Felix Hufeland 1957 â 20 xx .«
Er bog vom Hauptweg nach rechts ab und erreichte das Kockâsche Familiengrab. Da lag er nun also, der Hühnerbaron, frisch begraben, üppig bekränzt, intensiv beheuchelt (âºIn Liebe ⦠Bruno und Vera mit Maikâ¹, âºIn tiefer Dankbarkeit ⦠Werner und Margitâ¹), metertief unter dem weiÃen Kieselensemble. Seit an Seit mit seiner ersten Frau. Hufeland stand so dicht am Grab, dass er für Sekunden glaubte, den Leichnam riechen zu können. Doch auch das war wieder nur die Dunstwolke, die von der Mastanlage herüberwaberte.
Er schwenkte den Blick herum nach links. Unmittelbar neben dem Doppelgrab der Kocks befand sich das schmale Grab eines Kindes. Der Name âºJens Holtenâ¹ und das Sterbedatum vor gut zwei Jahren waren in den herzförmigen, kaum schultaschengroÃen, hellgrauen Naturstein eingemeiÃelt worden. Darunter die Worte: âºEwig geliebt, für immer in unseren Herzenâ¹.
Bewegend.
Er verharrte einige Minuten vor dem mit frischen Schnittblumen, farbenfrohen Pflanzen und bunten, kegelförmigen Kerzen liebevoll geschmückten Grab des kleinen Jens, bevor er sich von dem Anblick losriss und seinen Weg fortsetzte.
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Das mit hellroten Klinkern verkleidete und von einem moosbewachsenen Schindeldach niedergedrückte Häuschen mochte an die fünfzig, sechzig Jahre alt sein. Es lag keine fünfzig Schritte vom Haupteingang des Friedhofs entfernt und bot direkte Aussicht auf das Teehäuschen von Leichenhalle.
Hufeland hoffte, sie würde zu Hause sein, er hatte nicht anrufen wollen, um sie nicht vorzuwarnen, wollte den Moment der Ãberraschung für sich ausnutzen.
Er hatte Glück, sie öffnete und sah ihn ebenso begeistert an wie vorhin die Wirtsleute. Sie trug jetzt dunkle Jeans und eine helle Bluse mit einem Muster aus roten Streifen, die im ersten Moment wirkten wie Striemen von Peitschenhieben. Ihr seidiges Haar hatte sie im Nacken zu einer blonden Blüte gebunden.
Sekundenlang blieb ihr die Luft weg. »Ja?«, quetschte sie schlieÃlich hervor und wischte eine Strähne aus der Stirn, die nicht vorhanden war. »Gibtâs noch was?«
Hufeland bat, hereinkommen zu dürfen. Sie wich stumm vor ihm zurück und lieà ihn eintreten.
Im schmalen Flur kurvte er um Kleiderständer, Schuhe, Taschen und anderen Alltagskram herum, bevor er an einer Galerie kleiner gerahmter Bilder vorbeikam, Urlaubsfotos von einer Nordseeinsel, Hanne Spieker und ein vielleicht achtjähriges Mädchen.
Rechts führte eine schmale Treppe hinauf ins Obergeschoss, schnelles leichtes Getrappel war zu vernehmen, helles Kinderlachen klingelte die Stufen herunter. Hanne Spieker fing seinen interessierten Blick auf und sagte: »Oben wohnt meine Mutter. Michelle, meine Tochter, ist bei ihr. â Hier entlang«, wies sie ihm den Weg ins Wohnzimmer. Ihre Stimme klang dünn und hoch, sie rüstete sich für die Vernehmung, die ihr jetzt bevorstand.
Das Wohnzimmer war ähnlich farbenfroh wie der Flur. An den auf Terracotta getrimmten Wänden hingen holzgerahmte Drucke mit groÃen Blumenmotiven, die förmlich zu explodieren schienen. Ein massiver offener Schrank mit zwei Reihen Büchern, einem Fach mit Spirituosen und einer Mini-Stereoanlage nahm die Seite gegenüber dem Fenster ein, das den Blick auf eine kleine Rasenfläche hinterm Haus freigab. In der Ecke ein schmaler Sekretär, auf dem zugeklappt ein weiÃer Laptop döste. In der Mitte des Zimmers ein groÃer runder Tisch, um den massive alte Stühle mit weià nachbezogenen Sitzflächen standen. Aus der Küche nebenan dudelte leise Radiomusik, irgendein Popsong aus den Achtzigern, den er schon oft gehört und ordentlich hassen gelernt hatte.
»Kaffee?«, fragte sie und rückte ihm einen Stuhl hin. »Ist gerade frisch.« Sie hielt sich an Routinen fest, doch es klang nicht entfernt so souverän wie im Brooker Hof.
Er setzte sich an den Tisch und folgte mit den Augen ihrem jetzt ziemlich schwunglosen Gang in die Küche nebenan, deren orangefarbene Schrankwände mit
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