Huehnerhoelle
verstehen gab.
Auch Kevins wächsernes Mondgesicht sah etwas unglücklich aus. »Entschuldigung, Herr Hufeland. Aber ich habe einen Wahnsinnshunger«, bekannte er leise. »Wenn ich nicht bald was zu essen bekomme, falle ich um. Sorry.«
Hufeland seufzte innerlich. So war er nun mal, der kleine Kuczmanik. Er hatte Hunger.
»Bleiben Sie einfach sitzen!«, bot ihnen Margit Kock an. Sie räumte das Kaffeegeschirr vom Tisch, zog die weiÃe Tischdecke pro forma glatt und war wieder die gute, geschäftige Wirtin, durch und durch. Kurz darauf brachte sie das Wasser für Hufeland und die Karte für Kevin.
Hufeland spülte widerwillig sein Antibiotikum und die Schmerzpillen mit dem Wasser hinunter, Kevin wählte sein Gericht. Er entschied sich für Kürbiscremesuppe, danach Kartoffelpuffer, danach Dinkelnudeln mit Waldpilz-Ragout, danach ein Pumpernickeldessert mit Kirschen.
Die Wirtin dankte und fragte mit einer erstaunlich geschäftlichen, fast kalten Ruhe, ob die Herren sie noch bräuchten. Als Hufeland verneinte, um gleich darauf zu korrigieren: »Vorerst nicht«, marschierte sie mit kleinen, schnellen, festen Schritten hinaus.
»Mein lieber Scholli!«, sagte Kevin und schaute der Wirtin beeindruckt hinterher. »Alles im Griff, die Lady. Selbst das Lügen.«
»Wohl wahr«, knurrte Hufeland und dachte über die neue Wendung in dem Fall nach. »Als du vorhin in Kocks Haus warst, Kevin«, sagte er schlieÃlich, »wie kam er dir vor, Bruno Kock?«
Kevin musste nicht lange nachdenken. »Ziemlich aufgeschlossen, wenn man ihn vorher erlebt hat«, bestätigte er nur den Eindruck, den auch Hufeland gewonnen hatte.
»Ist dir sonst irgendetwas aufgefallen, Kevin?«
»Nichts Besonderes eigentlich. AuÃer vielleicht â¦Â«
»Ja?«
Kevin berichtete ihm nun von den Kinderfotos im Haus der Kocks, den Unmengen an Spielzeug und Kuscheltieren im Kinderzimmer und seiner Entdeckung schlieÃlich, dass die jungen Kocks vor zwei Jahren ihren ältesten Sohn verloren hatten. »Erbschaden. Wirklich traurig, so was.«
Hufeland stutzte. »Wie hieà der Junge?«
»Ãhm ⦠Jens«, erinnerte sich Kevin.
»Jens Kock«, wiederholte Hufeland nachdenklich.
Das Essen kam. Einer der blonden Drillinge brachte die Kürbissuppe. Hufeland fasste einen Entschluss. »Hör mal, Kevin«, sagte er, indem er auf die kleine kreisrunde Glatze seines löffelnden Azubis herabsah, »ich gehe schon vor zu Hanne Spieker.«
Kevin stoppte den Löffel voll sämiger, orangefarbener Kürbiscremesuppe vor seinem schon halb offenen Mund und schaute überrascht zu ihm auf.
»Lass dir Zeit und warte, bis ich dich anrufe.«
Hufeland stand auf und ging hinaus in den Flur. Dort stieà er beinahe mit einem schwankenden Toilettengänger zusammen, der auf dem Weg zurück zum Schankraum noch halberlei sein Gemächt in die Hose stopfte.
Vom Hinterhof aus nahm er den FuÃweg Richtung Friedhof.
54
Es war ein milder Novembertag. Einsame goldgelbe und rostrote Blätter, die letzten verbliebenen des Jahres, gaukelten verloren durch die verpestete Luft. Helle Wolkenfinger streckten sich über ihm. Wahrscheinlich stank selbst der hohe Himmel über Vennebeck nach der allgegenwärtigen Essenz aus totem Huhn.
Wenn die geplagten Eingeborenen erst erfuhren â und dafür würde Osterkamp schon bald sorgen â, dass Bruno Kock gar nicht daran dachte, die Mastanlage einzustellen, sondern sie noch zu erweitern, würde es einer Lebensrettung gleichkommen, wenn sie ihn wegen Mordes verhafteten, bevor ihn die Vennebecker grillten.
Nach wenigen Minuten erreichte er das schmale Eisentor an der Rückseite des Friedhofs und lieà es aufschwingen. Das Knirschen des hellen Kieses unter seinen Schuhen, die Reste der weiÃen und gelben Herbstblumengebinde auf den Gräbern, die sanft sich wiegenden haushohen Tannen, alles schien nahezu wieder wie vorher, wie vor ein paar Tagen, als er den Friedhof zum ersten Mal betreten hatte. Vereinzelt sah man Besucher, Angehörige, Trauernde, die still vor den Grabsteinen verharrten, eifrig die Ruhestätten ihrer Toten herrichteten oder wie Watvögel den Gang entlang staksten.
Hufeland fragte sich, während er voranschritt und die Augen über die gepflegten oder pflegeleichten Gräber gleiten lieÃ, wer diesen Dienst einmal seinen Ãberresten zukommen
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