Hüter der Flamme 04 - Der Erbe der Macht
Jason.
Genaugenommen kam es nicht darauf an, ob er jetzt schon tot war oder noch ein paar Minuten lebte. Sterben würde er gewiß; sein Blut versickerte im Sand von Melawei. Wie bei Rahff.
»Nein! Es muß noch etwas geben, das wir tun können, außer ...«
»Pst.« Ahira drückte Karls unverletzte Schulter. »Sei still, Karl. Misch dich nicht ein.«
»Ich werde ihn heilen.« Doria hielt die zitternden Fäuste vor ihr Gesicht, und sie biß die Zähne zusammen, als sie sich über Jasons ausgestreckten Körper beugte.
Kalter Schweiß trat auf ihre Stirn, sie atmete stoßweise und schwenkte die Arme zur Abwehr eines unsichtbaren Gegners. Ihr schmaler Körper spannte sich, als sie gegen Kräfte ankämpfte, die die anderen nur zu ahnen vermochten.
»Ich«, sagte sie. »Ich werde mich von meinem eigenen Willen lenken lassen und nicht von deinen Geboten. Ich gehöre mir, nicht dir. Ich gehöre mir\«
Die Fesseln der Macht zeigten ihre Kraft so deutlich, daß sie beinahe zu sehen waren. Erst lähmten sie Dorias Arme, dann zwangen sie sie auf die Knie und beugten ihren Nacken.
Du wirst mir gehorchen, Tochter, schien eine ferne Stimme zu flüstern, aber dieses Flüstern konnte Felsen zerschmettern.
»Nein.«
Doria wurde schwächer; sie zog die Kapuze über den Kopf und schien förmlich zu schrumpfen, während sie auf den Knien hin- und herschwankte. Doch sie gab nicht auf. Sie kämpfte weiter.
Gerade als es so aussah, als wäre der Kampf verloren, als könne sie nicht gewinnen, zerrissen die Band der Macht, die Doria ihres freien Willens beraubten, und lösten sich auf.
Dorias Kraft zerteilte die Schatten, und die flüchtigen Worte des Heilens strömten in rascher Folge über ihre Lippen.
Die Worte drangen in Jasons Körper; die Wunde in seinem Leib stieß ein abgeflachtes Geschoß aus, bevor sie sich endgültig schloß. Die Rippen bewegten sich unter seiner Haut und fügten sich zusammen. Unter dem Verband an seiner Schulter regten und wölbten sich Muskeln und Haut.
Doria taumelte zurück; hätte Ahira sie nicht gestützt, wäre sie gefallen.
Karl streckte die Hand aus, als Jasons Lider zuckten und er gleich darauf die Augen öffnete.
Er lebte.
Mein Sohn lebt. Karl drückte kurz den Arm des Jungen, dann hob er den Kopf zu Ahira und Walter.
»Ihr werdet ihn tragen müssen. Laßt mir ein paar von euren Pistolen hier und verschwindet endlich. Und ein bißchen schnell. Die Verfolger werden jeden Augenblick hier sein.« Er lehnte sich mit dem Oberkörper gegen einen Baumstamm. »Ich halte sie euch vom Leib - wenigstens eine Zeitlang.«
Es war die logische Schlußfolgerung. Sein Bein konnte ihn nicht tragen; das beste, was er mit dem von Bren geschnittenen Krückstock zuwege brachte, war ein langsames Humpeln. Mit den Sklavenjägern auf den Fersen brauchten die anderen einen größeren Vorsprung als sie jetzt hatten. Nicht nur, daß es Ganness' Schiff zu erreichen galt, sie mußten es weit genug vom Ufer wegbringen, daß die Sklavenjäger nicht an Deck klettern und sie mit ihrer Übermacht erdrücken konnten.
Und sie mußten in Sicherheit sein, bevor am Morgen das andere Sklavenschiff eintraf und erfuhr, daß jemand mit einem Segler entkommen war. Dieser Angriff und die Heilung Jasons hatten viel Zeit gekostet. Sie durften nicht länger zögern.
Keine Minute länger.
»Die anderen können gehen.« Tennetty preßte die Hand gegen ihre Seite. »Ich lasse dich nicht im Stich.«
Keine Zeit mehr. Jemand mußte zurückbleiben und die Sklavenhändler aufhalten. Nur einer. Zwei konnten auch nicht mehr ausrichten.
Er schaute ihr fest in die Augen. »Das ist ein Befehl. Willst du mir den Gehorsam verweigern, indem du bleibst?«
Aus einiger Entfernung ertönten Rufe und Schreie. Die Sklavenjäger hatten den Strand erreicht. Es war nur eine Frage der Zeit, wann sie sich in diese Richtung wandten; nur eine Frage der Zeit, wann sie alle verloren waren.
Karl schaute von Bren Adahan zu Aeia, zu Walter, Tennetty, Doria, Ahira und dem immer noch halbbetäubten Jason, der sich nur mühsam aufrecht zu halten vermochte, bis der Zwerg ihn auf die Arme nahm. Doria hatte sein Leben gerettet, doch war sie nicht in der Lage gewesen, ihm die volle Kraft wiederzugeben, nicht nach den schweren Verletzungen des Jungen.
Wortlos kniete Aeia neben Karl nieder, küßte ihn auf die Stirn und stand auf.
Aber niemand regte sich.
»Wir haben keine Zeit für lange Abschiedsszenen«, meinte Karl. »Verschwindet schon. Und denkt daran, daß
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