Hüter der Flamme 06 - Die Straße nach Ehvenor
gerade, um warm zu werden.
Die Hufe klopften leise auf der ungepflasterten Straße, während hoch droben weiße, bauschige Wolken über einen tiefblauen Himmel glitten, wie es nur weiße, bauschige Wolken tun können. Unten bogen sich die hüfthohen Halme des grünen jungen Weizens sanft in der Brise. Die Luft war noch immer kühl von der Nacht, und ihr fehlte der nachmittägliche Geruch sonnendurchglühter Felder, aber der Tag war ja noch jung.
»Ein schöner Tag«, bemerkte Jason.
»So ist es«, stimmte ich zu und fingerte an meinen Halftern herum. Schöne Tage machen mich nervös.
Jason trug einen seiner Zwillingsrevolver in einem Halfter links an der Brust, dessen Griff etwa in der Höhe seines linken Ellbogens nach vorn zeigte. Wirklich kein schlechter Platz, denn obwohl es ein wenig umständlich war, die Waffe auch mit der linken Hand zu ziehen, war es doch durchaus möglich.
Ich beneidete ihn um diese Waffen. Wenn nicht bald ein Bote aus Heim auftauchte und mir ein ebensolches Paar mitbrachte, würde ich wohl hinüberreiten und ein ernstes Wort mit Lou sprechen müssen. Schließlich war ich es, der die erste Steinschloßpistole auf Dieser Seite konstruiert hatte, und dieser Erfahrungsvorsprung sollte doch etwas gelten, oder nicht?
Tennetty kicherte. »Immer bei den Helfern einschmeicheln, was?«
»Hä?«
»Das Pferd«, erklärte sie. »Du hast es selbst gesattelt.« Sie schnaubte abfällig. »Dieser mistfüßige Stallbursche hat dich angeschaut, als ob du etwas ... ich weiß nicht, etwas Besonderes wärst.«
»Na ja ...« Ich zuckte mit den Achseln so bescheiden, wie es unter den Umständen nur möglich war. »Das bin ich nun mal, Tennetty.«
Sie war geneigt, es dabei bewenden zu lassen, aber nicht so Jason. »Also, warum hast du es gemacht?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Früher habe ich anderen Leuten mein Pferd zum Satteln anvertraut, aber dann wurde mir klar, daß ich ein größeres Interesse an meinen Sattelgurten habe, als es ein Stallbursche jemals entwickeln kann.«
Tennetty nickte. Jason runzelte die Stirn. Wir ritten im Schritt die Straße hinunter.
»Also«, nahm er schließlich das Gespräch wieder auf, »bist du der Meinung, daß wir uns schon genügend eingerichtet haben?«
Ich nickte zustimmend. »Sicher. Du mußt natürlich zusehen, daß sich die Probleme mit den Bediensteten lösen, aber es sieht so aus, als ob hier alles in Ordnung wäre. Juckt es dich, wieder auf die Straße zurückzukehren?«
Er nickte. »Ellegon müßte morgen oder vielleicht übermorgen eintreffen. Ich halte es für das Beste, Mikyns Spur zu suchen. Ich mache mir Sorgen um ihn.«
Mikyn war ein guter Junge, aber was mich betraf, so ließ ich ihn lieber in Ruhe. Ja, als Kinder waren Jason und er Freunde gewesen, aber für mich glich er einer Götterdämmerung, die nur darauf wartete, irgendwo auszubrechen - und ich habe zu meiner Zeit genug davon erlebt. Ich hab's nicht eilig, danke. Außerdem ...
»Laß uns noch eine Weile hier herumhängen«, schlug ich vor. »Ahira hatte eine Unterredung mit Danagar, bevor wir Biemestren verließen - er hat noch ein paar Fühler ausgestreckt.«
Mikyn war irgendwo - vielleicht in den Mittelländern, vielleicht auch anderswo in Eren - , auf der Suche nach dem Mann, der seine Familie versklavt hatte. Die Chancen waren gering, daß Mikyn eine heiße Spur verfolgte. Und seine Verkleidung als reisender Hufschmied würde wohl nicht lange ihren Zweck erfüllen können.
Aber auch schlechte Aussichten würden ihn nicht von der Suche abhalten, den jungen Idioten. Na ja, zum Teufel, Aussichten hätten mich auch nicht abgehalten.
Jason schürzte die Lippen. »Ich hätte das machen sollen.«
»Vielleicht.« In Wirklichkeit wäre das keine gute Idee gewesen. Daß Jason des Kaisers bestem Agenten im Außendienst erzählen mußte, was er tun sollte, war das letzte, was Kaiser Thomen Furnael brauchen konnte. Thomens Position auf dem Thron war vermutlich ohnehin problematisch genug, denn sein einziger Anspruch auf besagten Thron leitete sich daraus ab, daß er ihn von Jason, dem Sohn des Usurpators, geschenkt bekommen hatte. Ich verurteile wohlgemerkt niemanden: Usurpator ist ein Terminus technicus, und Karl war mein zweitbester Freund.
»Jedenfalls«, fuhr ich fort, »wird es für uns vermutlich das beste sein, wenn wir auf eine Nachricht warten und dann zu einem Ritt auf Ellegon abheben. Das wird wahrscheinlich Zeit sparen. Außerdem möchte ich, um die Wahrheit zu sagen, noch
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