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Hüter der Flamme 06 - Die Straße nach Ehvenor

Hüter der Flamme 06 - Die Straße nach Ehvenor

Titel: Hüter der Flamme 06 - Die Straße nach Ehvenor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joel Rosenberg
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Kompromiß. Ein Langbogen hat eine größere Reichweite als eine Armbrust ohne eine gute Winde, und eine viel raschere Schußfolge. Die einzige Schwierigkeit besteht darin, daß man sehr viel üben muß, um gut zu werden, und noch mehr üben muß, um gut zu bleiben.
    Auf der gegenüberliegenden Seite der Wiese, vielleicht zwanzig Meter entfernt, saß eine ölig schimmernde Krähe auf einem Ast und schaute auf die dummen Menschen herab.
    Gut, wir wollen mal sehen, o b ich noch immer Zen-Bogenschie ßen beherrsche. Als Fremder unter Fremden hast du das Problem, daß du dein eigener Zenmeister sein mußt. Ich brachte den Bogen nach oben, nahm einen perfekten Stand ein, zielte nicht mit den Augen, nicht richtig, und vergegenwärtigte den Abschuß, während die Sehne meine Finger in perfekter Form verließ - glatt, gleichmäßig, augenblicklich und ohne jedes Reißen.
    Ich ließ los, und keinen Herzschlag später steckte der Pfeil zitternd im Ast, einen ganzen Meter rechts von der Stelle von der die Krähe nun abgeflogen war.
    Jason kicherte. »Eine volle Pfeillänge daneben. Nicht besonders gut, Onkel Walter.«
    Tennetty fing meinen Blick auf; ihre Mundwinkel waren nach oben gezogen. Bei jedem anderen hätte ich diesen Ausdruck als Lächeln bezeichnet. »Versuche doch, wie nahe du an seinen Pfeil herankommst, Jason Cullinane. Ich bin gespannt.«
    Jason hob den Bogen und ließ die Sehne zu schnell los, die laut gegen seine ledernen Ärmel schlug. Der Pfeil verschwand im Wald.
    Tennetty brach in lautes Lachen aus, und Jason reagierte zunächst widerwillig, fing sich aber dann.
    »Na ja«, meinte er, »dann geht die Jagd eben da entlang.«
    »Später«, widersprach ich ihm. »Laß uns zuerst noch einige Übungsschüsse abgeben.«
    Jagen ist wie Fischen - und Sex, was das betrifft - eines der Dinge, bei denen du ganz dabei sein mußt, um sie zu verstehen.
    Abgesehen vom Töten macht es mir sehr viel Spaß, zumindest auf Jasons Art. Du schreitest über den Boden des dunklen Waldes, hast den beruhigenden Geruch von verrottetem Laub und Erde in den Nü stern, und du lauschst und beob achtest voller Aufmerksamkeit - ohne dir darüber Sorgen zu machen, daß jemand hinter einem Baum hervorspringt und dich tötet. Das gefällt mir so gut daran.
    Mir standen Leute zur Seite, denen ich vertraute, denn ich gehe nicht mit Leuten auf die Jagd, denen ich nicht vertraue.
    Man kann aber auch auf andere Weise jagen. Eine der besten Methoden, um etwas Eßbares zu erlegen, besteht darin, eine geeignete Stelle zu finden und darauf zu warten, daß der ganze Zirkus an einem vorbeikommt. Du sitzt da, sparst deine Energie und wartest. Wenn du den Ort gut gewählt hast, wird schließlich dein Kaninchen auftauchen oder dein Hirsch oder die Antilope oder was auch immer. Aber das ist Jagen, um zu überleben.
    Sich anzuschleichen machte mehr Spaß. Drüben auf der Anderen Seite konnte ich mich nie so leise bewegen. Ich beklage mich wohlgemerkt nicht, aber zu den großen Leuten zu gehören ist ganz und gar nicht so, wie man sich das vorstellt. Glaub mir.
    Abgesehen davon jagten wir nicht richtig. Wir machten es zur Entspannung, und als wir tiefer in den Wald eingedrungen waren und dabei hier und da ein paar Übungsschüsse abgegeben hatten, war ich meine Sprunghaftigkeit losgeworden. Fürs erste.
    Also gut. »Jason, siehst du diesen Baumstumpf dort drüben?« fragte ich ihn und wies auf einen ungefähr vierzig Schritt entfernten Stumpen.
    »Der hinter dem umgestürzten Baum?«
    »Genau. Wetten, du schaffst es nicht, einen Pfeil in die Wurzel zu setzen, die sich rechts nach oben biegt.«
    Er hob die Schultern. »Das schaffe ich locker.«
    »Von hier aus?« Ich zog eine Augenbraue hoch. »Eine Silbermünze für den, der besser trifft?«
    Er nickte. »Einverstanden.«
    »Tennetty?«
    »Nein, ich muß mich nicht an der Spende beteiligen«, antwortete sie.
    »Macht nichts, wir brauchen dein Urteil als Schiedsrichter.«
    »Ja, klar.« Sie brachte sich wie ein Feldwebel in Stellung. »Achtung, Pfeil einlegen, spannen, drei, zwei, eins, los!«
    Es war ein anspruchsvoller Schuß, schwieriger als er aussah, wenn ich mich nicht irrte - die Blätter eines herabhängenden Astes einer alten Eiche ragten oben in die parabolische Flugbahn des Pfeils hinein. Man darf nicht übersehen, daß der Schuß nicht in einer geraden Linie verläuft, sondern in einem Bogen. Der Trick bestand nun darin, so zu zielen, daß die Flugbahn des Pfeils durch eine Lücke im Blattwerk

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