Hueter Der Macht
wechselten ein paar rasche Worte mit ihm, ehe sie sich ehrerbietig verneigten und ihn weiterreiten ließen.
Niemand wandte sich unwillig ab, wenn er den Prinzen sah.
Hal ist so beliebt wie eh und je, dachte Thomas. Eine Katastrophe, wie England sie bisher noch nicht gesehen hat, wäre nötig, damit die einfachen Leute ihre Herzen vor dem schönen Prinzen Hal verschlossen.
Thomas betrachtete Bolingbroke, der vor ihm herritt. Es war viele Jahre her, seit er ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Waren sie immer noch Freunde, nach all der Zeit und trotz der Kluft, die das Mönchsgewand, das Thomas nun trug, zwischen ihnen aufgetan hatte? Thomas hatte gehört, dass Hal geflucht und gewütet hatte, als er von Thomas’ Entscheidung erfuhr, sich dem Orden der Dominikaner anzuschließen.
Warum, wusste er nicht. Hatte Hal das Gefühl, dass er einen Freund an die Kirche verloren hatte? Glaubte er, Thomas hätte dem heiligen Gelübde den Vorrang vor ihrer Freundschaft gegeben?
Thomas betete darum, dass noch ein wenig von ihrer alten Zuneigung übrig geblieben war. Einen Freund wie Hal bei Hofe zu haben – einer der aufrechtesten und wahrhaftigsten Männer, denen er jemals begegnet war –, wäre für seinen Kampf gegen die Dämonen und seine Suche nach de Wordes Schatulle von unschätzbarem Wert. Prinz Hal konnte Türen öffnen wie kein anderer. Doch selbst als er dies dachte, wusste Thomas, dass es nicht der einzige Grund war, warum er hoffte, dass seine alte Freundschaft mit Hal überdauert hatte. Vom Kampf gegen die Dämonen einmal abgesehen, wäre es schön, Hal wieder zum Freund zu haben.
Sie waren zusammen aufgewachsen, hatten viele Sommer in den Burghöfen mit Holzschwertern gespielt und in Sommernächten die süßen Freuden der heranwachsenden Männlichkeit genossen. Sie hatten großartige Zukunftspläne geschmiedet. Hal, dass er eines Tages seinem Großvater auf den englischen Thron folgen könnte, obwohl er nur der Sohn von König Eduards viertem Sohn war; Thomas, dass er einen ruhmreichen Kreuzzug ins Heilige Land anführen, die Araber in die Wüste schicken würde und alle Spuren ihrer Anwesenheit auf ewig von den heiligen Stätten Jerusalems tilgen würde.
Doch dann hatte sich Thomas vor fünf Jahren von seinem Erbe, seiner Freundschaft und Zukunft mit Hal abgewandt und war in die Kirche eingetreten, und Hal sah von nun an der Zukunft allein entgegen.
War von ihrer Freundschaft noch etwas übrig geblieben?
Es war schon tiefste, kalte Nacht, als Bolingbroke Thomas schließlich durch die Tore in die engen Gassen von Chauvigny führte, wo sie von ihren Pferden absaßen. Die Reittiere wurden in den tieferliegenden Bereichen der Festung in Ställen untergebracht, und Bolingbroke und Thomas mussten den Weg ins Herz Chauvignys zu Fuß zurücklegen. Thomas blickte auf, als ein Knappe herbeigeeilt kam, Bolingbroke den Helm abnahm und hinderliche Rüstungsteile von seinem Körper löste. Flaggen und Standarten schmückten die Mauern, jede von ihnen gehörte einem bestimmten Prinzen, Baron oder Grafen oder einem der anderen zahllosen Adelsränge. Er hielt den Atem an – die Elite der englischen Aristokratie befand sich in der Burg! Hier war die Standarte von Johann von Gent, Herzog von Lancaster und König von Kastilien, Hals Vater. Dort die Standarte des schwarzen Prinzen. An einer anderen Stelle die Standarte von Thomas von Woodstock, Herzog von Gloucester und jüngster Bruder von Eduard, dem schwarzen Prinzen, und Johann von Gent. Und dort drüben die Standarte des Grafen von Northumberland – befand sich Hotspur ebenfalls hier? Und die Standarte von Baron Raby flatterte vorwitzig an dem Zelt direkt neben dem des Grafen von Northumberland, seinem größten Rivalen um die Macht in Nordengland.
Thomas grinste in sich hinein. Raby verbrachte seine Zeit jenseits des Schlachtfeldes sicher damit, Intrigen gegen den Grafen von Northumberland zu spinnen, während dieser zweifellos das Gleiche tat. Saßen sie womöglich in diesem Augenblick in ihren Gemächern in der Festung, schärften ihre Klingen, den Blick funkelnd vor Hass und Ehrgeiz?
Bolingbroke bedankte sich bei dem Knappen, der ihm geholfen hatte, und Thomas wandte sich wieder dem Prinzen zu.
Hal Bolingbroke stand im Mondlicht vor ihm und wirkte wie ein Vertreter des legendären Feenvolkes. Der Mond verlieh seinem hellen Haar einen silbernen Glanz und ließ seine grauen Augen farblos und undurchdringlich wirken. Seit Thomas ihn zum letzten Mal gesehen hatte,
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