Hüter der Macht
kannst du meinen Kumpel Ricco kennenlernen. Der Kerl ist schwer in Ordnung.«
»Hör mal, ich habe nicht einen lausigen Picciolo in der Tasche und kann mir nicht mal einen Fingerhut voll Gepanschtem leisten«, sagte Sandro kleinlaut.
Luca schlug ihm auf die Schulter und lachte. »Der Wein geht auf mich, Sandro! Ich bin dank Ricco ganz gut bei Kasse. Und jetzt lass uns zusehen, dass wir aus dieser verdammten Bruthitze herauskommen und du dir was Besseres durch die Kehle laufen lassen kannst als schnödes Brunnenwasser.«
Die Dorfschenke war in der Tat ein dunkles Loch. Als Sandros Augen sich endlich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, machte er einen kleinen Raum mit rauchgeschwärzter niedriger Balkendecke aus, in dem nur drei schlichte Holztische mit Bänken standen. An der Wand gegenüber der Tür hatte der Wirt unter einem langen Holzbrett mit Krügen und Bechern aus Steingut drei Fässer aufgebockt. Es gab zwei Fenster, schmal wie Schießscharten, deren hölzerne Schlagläden fast ganz zugezogen waren, um die Hitze abzuhalten, sodass kaum Tageslicht in die Schenke fiel.
Außer dem Wirt hielt sich nur noch ein Mann in dem Raum auf. Er saß an dem Tisch, der genau zwischen den beiden schmalbrüstigen Fensteröffnungen stand. Er schien etwas älter zu sein, vielleicht Mitte zwanzig, war von kräftiger Gestalt und hatte ungewöhnlich kurz geschnittene Haare und einen goldenen Ring im linken Ohr. Sein Gesicht war kantig, seine Züge wirkten grob und unfertig. Über der muskulösen nackten Brust trug er trotz der Hitze eine gefütterte wamsartige Lederweste, die selbst im trüben Dämmerlicht der Schenke speckig glänzte.
»Ricco, das ist mein alter Freund Sandro Fontana. Einen besseren findest du auf der ganzen Welt nicht«, sagte Luca überschwänglich. »Wenn Sandro damals nicht seine Haut für mich riskiert hätte, als ich dem fetten Händler in Ferrara die Fracht auf seinem Fuhrwerk um einen Ballen Tuch erleichtern wollte, wären mir Jahre in einem stinkenden Kerker gewiss gewesen. Womöglich wäre sogar meine rechte Hand unter dem Beil des Henkers gelandet!« Dann wandte er sich Sandro zu und deutete mit einem Nicken auf den Mann am Tisch. »Darf ich vorstellen? Ricco Talese.«
Ricco verzog keine Miene, doch er streckte Sandro seine schwielige Rechte entgegen. Seine hellen Augen musterten ihn aufmerksam. »Setz dich. Du siehst aus, als könntest du einen kühlen Trunk gebrauchen.«
Sandro wählte die Bank ihm gegenüber. »Habe nichts dagegen einzuwenden.«
Er nahm die Armbrust von der Schulter und legte sie ans Ende des grob behauenen Tisches. Riccos wacher Blick folgte jeder seiner Bewegungen.
»Wirt! Einen Becher für unseren Freund hier! Und bringt gleich noch einen Krug von Eurem Weißen!«, rief Luca und setzte sich neben Sandro.
Mit einem wortlosen Nicken nahm der Wirt einen Krug vom Wandbord und hielt ihn unter den Zapfhahn von einem der Fässer.
»Hast du Luca wirklich vor dem Kerker und dem Beil des Henkers bewahrt?«, fragte Ricco, nachdem der Wirt Becher und Weinkrug gebracht und sich wieder nach hinten in seine Ecke zurückgezogen hatte.
»Schon möglich«, sagte Sandro zurückhaltend und genoss den ersten köstlichen Schluck Trebbiano. »Vielleicht war’s ein bisschen brenzlig. Aber aus Lucas Mund klingt die Geschichte dramatischer, als sie in Wirklichkeit war.«
»Von wegen!«, protestierte Luca. »Es war dramatisch! Sandro ist bloß keiner, der viele Worte um solche Sachen macht! Der packt zu, ohne lange zu überlegen, und tut, was getan werden muss. Ich sage dir, Ricco, selten hab ich jemanden getroffen, auf den so sehr Verlass ist!«
Sandro bemerkte, dass Luca seinem Freund einen vielsagenden Blick zuwarf.
»Schön«, sagte Ricco nur.
Während Luca das nächste Erlebnis aus der gemeinsamen Zeit in Ferrara zum Besten gab und dabei genauso übertrieb wie bei der Sache mit dem Tuchballen, schweiften Sandros Gedanken ab. Langsam trank er seinen Becher leer und überlegte, sich bald wieder auf den Weg zu machen. Es war zwar schön, einen Freund aus alten Tagen wiederzusehen, aber er wollte sich nicht zu lange aufhalten. Sein Ziel war schließlich nicht mehr weit.
Auch Ricco sagte nicht viel, allerdings schien er genau hinzuhören, was Luca von sich gab. Dabei ließ er Sandro nicht einen Augenblick lang aus den Augen. Es war, als studierte er ihn, um sich ein möglichst genaues Bild von ihm zu machen.
Irgendwann fiel er Luca ins Wort. »Die ist nicht gerade neu«, sagte er
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