Hüter des Todes (German Edition)
Flugzeuge umsteigen würden, wusste Logan nicht, und es war ihm auch ziemlich egal. Nachdem er von dem kleinen Schlepper auf eines der großen Propellerboote umgestiegen war, hatte er den größten Teil der weiteren Fahrt damit zugebracht, eingewickelt in eine einfache Decke in düsterer Stimmung durch ein Bullauge auf die vorbeiziehende Landschaft zu starren, ohne wirklich etwas zu sehen. Die allgemeine Stimmung an Bord des Bootes schien seiner eigenen zu entsprechen: Schock, Trauer, Ungewissheit. Menschen drängten sich in kleinen Gruppen zusammen, unterhielten sich mit gedämpften Stimmen oder spendeten einander Trost.
Als die Sonne unterging, rührte sich Logan zum ersten Mal. Er erhob sich, legte die Decke ab und trat hinaus auf Deck. Nicht ein einziges Mal hatte er einen Blick zurückgeworfen, auf das zerstörte, brennende Wrack der Station, das sie hinter sich gelassen hatten, und das tat er auch jetzt nicht. Stattdessen ging er nach vorn auf der Suche nach Kaffee. Er fand welchen in einer beengten Kombüse in der Nähe des Bugs, in der sich auch Valentino und ein paar seiner Männer eingefunden hatten. Sie standen im Halbkreis um eine Espresso-Maschine. Valentino nickte Logan zu und reichte ihm eine kleine Tasse.
Logan nahm sie wortlos an und ging zum Heck, wo eine Treppe auf das Oberdeck des Bootes führte. Dort fand er Christina Romero in einem Decksstuhl, eingehüllt in eine Decke. Sie hatte es irgendwie geschafft, den Schlamm aus dem Gesicht zu waschen, doch ihre Haare waren stellenweise immer noch mit getrocknetem Schlamm gesprenkelt.
Er setzte sich neben sie und reichte ihr den Espresso. Sie lächelte schwach und nahm einen Schluck.
Als er es sich im Sessel bequem machte, spürte er, wie ihn etwas in die Seite stach. Er schob die Hand in die Kitteltasche und zog ein paar Artefakte hervor. Rubine und Karneol leuchteten im Licht der untergehenden Sonne. Er hatte völlig vergessen, dass er sie während seiner verzweifelten Flucht von Bord der Station aufgehoben hatte. Jetzt, als er sie betrachtete, verstand er nicht mehr, warum er sie eingesteckt hatte. War es der Wunsch – oder das Bedürfnis – gewesen, etwas aus den Ruinen der gescheiterten Expedition zu retten? Oder gab es einen tieferen Grund, hatte es vielleicht mit dem Verlust von Ethan und Jennifer Rush zu tun?
Christina wandte sich ihm zu. Ihre Augen, bis zu diesem Moment stumpf und abwesend, leuchteten ein wenig auf beim Anblick der Artefakte. Sie nahm ein kleines Fayence-Amulett in die Hand und betastete es, hielt es ins verblassende Licht. Es war ein Auge – dargestellt wie in sämtlichen ägyptischen Darstellungen genau von vorn statt im Profil –, umgeben von dekorativen Locken.
Die Wasservögel kreischten. «Ein Udjat», sagte Christina.
«Udjat?»
«Der Sage nach hatte sich Seth, früher der große Feind von Horus, herangeschlichen, als dieser schlief, und eines seiner Augen gestohlen. Als Horus erwachte, ging er zu seiner Mutter Isis und bat sie um ein neues. Das Udjat ist der Ersatz, den Isis für ihn anfertigte. Ein ‹geheiltes› Auge. Angeblich besitzt es starke magische Kräfte.» Sie betrachtete das Artefakt. «Es muss aus Neithoteps Mumie stammen.»
«Wie kommen Sie darauf?»
«Priester wickelten die Udjats als magischen Schutz in die Bandagen der Mumien.» Sie drehte das Auge auf die Seite und deutete auf etwas.
Logan sah genauer hin. Dort waren zwei Symbole eingeritzt, ein Wels und ein Meißel.
«Narmer», murmelte er.
«Selbst das hat sie ihm genommen», sagte Christina Romero. Sie seufzte, schüttelte den Kopf und gab Logan das Artefakt zurück.
«Behalten Sie es», sagte er.
Für einen Moment saßen beide schweigend beieinander in der schwerfälligen, heilsamen Stille, während das Boot nach Norden fuhr.
«Glauben Sie, Stone wird irgendetwas unternehmen?», fragte Logan schließlich. Er hatte den Chef der Expedition nicht mehr gesehen, seit sie die Reise nach Norden angetreten hatten.
Christina blickte Logan an. «Wegen dieser Geschichte? Er wird mit blütenreiner Weste daraus hervorgehen. Das tut er immer. Er wird eine interessante Geschichte erzählen – vorausgesetzt, irgendjemand glaubt sie. Doch es sieht so aus, als wäre es uns gelungen, eine große Menge der bedeutsameren Grabbeigaben zu bergen.»
«Bergen? Ich dachte, das Wort wäre ein Reizthema für Sie?»
Sie lächelte freudlos. «Ist es auch, normalerweise. Aber diesmal hatten wir gar keine andere Wahl. Die Entdeckung war einfach zu wichtig,
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