Hüterin der Nacht: Roman (German Edition)
an.«
»Vielleicht. Aber kannst du dir wirklich vorstellen, dass Gautier irgendeinem Psychopathen erlaubt, sich auf einem Gebiet auszutoben, das er für sich beansprucht?«
»Nein. Er ist nicht gerade der fürsorgliche Typ, der gern etwas teilt.«
»Genau. Was hat er also wirklich vor?«
»Das wissen wir erst, wenn wir den Mistkerl schnappen.« Aber die Frage war ziemlich beunruhigend.
Rhoan veränderte seine Haltung und blickte zu der Tür, durch die ich hereingekommen war. Er roch zweifellos den Gestank von Müll und Tod, obwohl er hier nicht annähernd so intensiv war wie in dem Flur. »Jack ist da.«
Und zum Glück war er nicht allein. Ich trat zur Seite, damit das Mica-Team sich um das kleine Mädchen kümmern konnte, und sah einen Moment zu, um mich davon zu überzeugen, dass es noch lebte, dann drehte ich mich um und ging die Stufen hinunter. Jack hockte neben dem jungen Vampir, den ich umgebracht hatte.
Ich blieb neben ihm stehen und versuchte den Geruch von Tod zu ignorieren. Ich hatte kein schlechtes Gewissen, dass ich den Babyvampir getötet hatte, nicht nachdem ich so lange gebraucht hatte, um ihn zu finden. Nicht, nachdem ich mich mit den Folgen seines Blutrauschs und dem seines Meisters herumschlagen durfte.
Jack hob den Blick. »Hast du seine Gedanken gelesen, bevor du ihn umgebracht hast?«
Ich schüttelte den Kopf. »Das brauchte ich nicht. Gautier ist sein Erzeuger.«
»Woher weißt du das, wenn du seine Gedanken nicht gelesen hast?«
»Gautier hat es mir persönlich bestätigt.«
»Er war hier? Und ihr habt ihn entkommen lassen?«
Jack klang wütend, und ich hob beschwichtigend die Hand. »Wir haben ihn nicht einfach irgendetwas machen ›lassen‹. Wir hatten die Wahl, ein Leben zu nehmen oder eines zu retten. Wir haben uns für Letzteres entschieden.«
»Was die falsche Entscheidung war.« Sein Blick glitt an mir vorbei. »Dein weiches Herz wird dich eines Tages noch umbringen, Riley.«
»Ein Kind zu retten, ist nie die falsche Entscheidung, Jack.« Alles andere hätte ich nicht vor mir vertreten können.
»Weil ihr das Kind gerettet habt, müssen jetzt vielleicht andere sterben.«
Er versuchte ganz offensichtlich, mir ein schlechtes Gewissen zu machen, und in gewisser Weise hatte er damit Erfolg. Denn es war sehr wahrscheinlich, dass wegen unserer heutigen Entscheidung weitere Leute sterben würden. Dennoch, was hätte ich sonst tun können? Gar nichts. Nicht, wenn ich meinen Verstand und meine Seele nicht verlieren wollte. Dass ich versucht hatte, ein so junges Leben zu retten, konnte doch nicht wirklich falsch sein, egal wie hoch der Preis am Ende war.
Ich war jedoch sicher, dass Jack anderer Meinung war. Abgesehen davon, dass er eigentlich ein anständiger Kerl war, war er immer noch ein Vampir, und die hatten seltsame Vorstellungen, was den Wert eines Lebens anging.
»Wir hatten eine nette kleine Unterhaltung mit dem Widerling.« Ich rieb mir die Arme. Ich fror dermaßen in diesem Lagerhaus, als wäre ich nackt. »Er hat gesagt, er wüsste, wer der Schlächter ist.«
Jack hob eine Braue. »Und er hat euch eingeweiht?«
»Nein«, schaltete Rhoan sich ein und trat neben mich. »Er hat uns zu einem Wettstreit herausgefordert.«
»Was für einen Wettstreit?«
»Ein Spiel – wer zuerst den Serienmörder zur Strecke bringt, hat gewonnen.«
»Gautier ist schon klar, dass er kein Wächter mehr ist, oder?«, fragte Jack skeptisch.
»Oh, ja«, antwortete ich trocken. »Und wenn du dir die hinteren Räume da ansiehst, bekommst du den Eindruck, dass er das sehr genießt.«
»Wieso sollte er dann einen solchen Vorschlag machen? Vor allem, wenn er damit mehr der Abteilung als sich selbst nutzt?«
»Vielleicht geht es ihm nur um die Genugtuung, besser zu sein als wir.« Ich zuckte mit den Schultern. »Er hat davon gesprochen, dass du immer von Rhoans Fähigkeiten geschwärmt hättest und davon, wie gut ich sein könnte. Er will sich und uns beweisen, dass das nicht stimmt.«
»Ja, klar.« Jack schnaubte leise und blickte zu Rhoan. »Glaubst du das?«
»Nicht im Geringsten. Vielleicht weiß er, wer der Mörder ist, aber ich glaube, dass sich hinter dem Wettstreit etwas sehr Düsteres verbirgt. Gautier ist ein Mörder und schon lange von seiner Überlegenheit überzeugt. Um das zu beweisen, braucht er keinen Wettbewerb. Das hat er nicht nötig.«
»Richtig. Wir müssen ihn umbringen, bevor er dazu kommt, seinen Plan, was auch immer das sein mag, in die Tat umzusetzen.«
Als
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