Hüterin der Nacht: Roman (German Edition)
lustig, aber dieses Jahr hatten wir so viel Regen, dass ich langsam vergaß, wie die Sonne überhaupt aussah. Die meisten Werwölfe waren gegen die Kälte immun, aber ich war ein Mischling, und offenbar fehlte mir dieses besondere Gen. Meine Füße waren eisig, und allmählich wurden meine Zehen taub. Und das, obwohl ich zwei Paar Wollsocken und Schuhe mit dicken Gummisohlen trug. Die entgegen den Behauptungen des Herstellers allerdings nicht wasserdicht waren.
Ich hätte Pumps anziehen sollen. Für meine Füße wäre das nicht schlimmer gewesen, und ich hätte mich wohler gefühlt. Und he, wenn er mich entdeckte, könnte ich so tun, als wäre ich nur eine abgehalfterte, frustrierte Prostituierte. Aber Jack bestand darauf, dass hohe Absätze einfach nicht zu meiner Arbeit passten.
Ich persönlich glaubte ja, dass er ein bisschen Angst vor meinen Schuhen hatte. Nicht so sehr der Farbe wegen, die zugegebenermaßen häufig ziemlich grell war, sondern wegen der hübschen, spitzen Holzabsätze. Holzpflöcke und Vampire waren keine gute Kombination.
Ich klappte den Kragen meiner Lederjacke hoch und versuchte, die dicken Wassertropfen zu ignorieren, die meinen Rücken hinunterliefen. Noch mehr als anständig aussehende Schuhe brauchte ich ein heißes Bad, einen riesigen Becher Kaffee und ein saftiges Steak zwischen zwei Brötchenhälften. Vorzugweise mit Zwiebeln und Ketchup. Gott, bei dem Gedanken lief mir das Wasser im Mund zusammen. Angesichts der Tatsache, dass wir uns mitten in einer Geisterstadt aus verlassenen Fabriken befanden, würde ich in unmittelbarer Zukunft allerdings nichts von alledem bekommen.
Ich strich mir die nassen Haare aus dem Gesicht und wünschte mir zum x-ten Mal, dass er endlich loslegte. Egal mit was .
Seine Verfolgung mochte zwar zu meiner Arbeit als Wächter gehören, aber das hieß noch lange nicht, dass ich deshalb begeistert war. Nachdem mir ein paar Wahnsinnige nicht zugelassene Medikamente verabreicht hatten, in deren Folge ich übersinnliche Fähigkeiten entwickelte, war mir nicht viel anderes übrig geblieben, als Wächter zu werden. Ich hatte die Wahl, mich entweder als Wächter der Abteilung anzuschließen, so dass meine wachsenden Fähigkeiten überwacht und sinnvoll eingesetzt werden konnten, oder mich zusammen mit anderen Unglücklichen, die eine ähnliche Dosis ARC1-23 erhalten hatten, zum Militär abschieben zu lassen. Ich wollte zwar kein Wächter sein, aber zum Militär wollte ich erst recht nicht. Da hatte ich lieber das Übel gewählt, das ich schon kannte.
Ich verlagerte mein Gewicht auf den anderen Fuß. Worauf wartete dieses tote Stück Fleisch? Er konnte mich nicht gespürt haben. Ich war zu weit entfernt, als dass er meinen Herzschlag oder das Rauschen meines Blutes hätte hören können. Er hatte nicht über seine Schulter zurückgesehen, also konnte er mich auch nicht mit seinem Infrarot-Vampirblick entdeckt haben, und Blutsauger verfügten im Allgemeinen über keinen sehr ausgeprägten Geruchssinn.
Wieso stand er also so verloren in der Pfütze inmitten dieses verlassenen Fabrikkomplexes?
Es reizte mich, den Mistkerl einfach umzulegen und der Quälerei ein Ende zu machen. Aber wir mussten diesem Babyvampir nach Hause folgen, um zu überprüfen, ob er in seinem Nest noch mehr böse Überraschungen bereithielt. Wie weitere Opfer oder vielleicht sogar seinen Erzeuger.
Denn es war äußerst ungewöhnlich, dass ein frisch Verwandelter neun dreiste Morde beging, ohne dass er dabei erwischt oder getötet wurde. Jedenfalls ohne fremde Hilfe.
Plötzlich trat der Vampir aus der Pfütze hervor und ging die leicht abschüssige Straße hinunter, wobei seine nackten Füße auf dem rissigen Asphalt patschten. Er war zwar von Schatten und finsterer Nacht umgeben, bemühte sich aber nicht, seine Gestalt zu verhüllen. In Anbetracht seiner behaarten weißen Beine und seines knallgelben Regenmantels war das seltsam. Allerdings befanden wir uns mitten im Nirwana. Vielleicht fühlte er sich sicher.
Ich trat aus der Gasse hervor, wo mir der Wind derart heftig entgegenschlug, dass ich ein paar Schritte zur Seite taumelte und erst dann mein Gleichgewicht wiederfand. Ich huschte über die Straße und blieb erneut im Verborgenen stehen. Der Regen prasselte auf meinen Rücken, das Wasser drang durch meinen Mantel und wuchs zu einem Rinnsal an. Ich hätte nie gedacht, dass mir einmal so kalt sein könnte. Von wegen Kaffee oder Steak. Ich wünschte mir nur noch, dass mir warm
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