Hüterin der Seele -: Sea Haven 2 (German Edition)
wie draußen. Oberflächlich betrachtet schien es eine gute Idee zu sein, ihn für seine internationalen Verbrechen in Frankreich zu verurteilen. Das französische Gefängniswesen galt keineswegs als eines, das Gefangene verhätschelte, aber sogar mit Schimmel an den Wänden und schleimigem Wasser, das von der Decke tropfte, gelang es Jean-Claude, Reichtum und Macht auszustrahlen. Alle anderen Gefangenen gingen ihm aus dem Weg, bis Stefan aufgetaucht war. Er verhöhnte La Roux bei jeder Gelegenheit, und nicht einer der Männer, die dafür bezahlt wurden, Stefan eine Lektion zu erteilen oder ihn umzubringen, hatte es geschafft.
Für Stefan bestand kein Zweifel daran, dass ihm eine Stunde allein mit Jean-Claude genügen würde, wenn es ihm freistand, ihn auf seine eigene Weise zu verhören, um an sämtliche Informationen zu kommen, die die Regierung brauchte. Aber hier, in diesem französischen Gefängnis, wo sie Tag und Nacht unter der Beobachtung von Wärtern standen und die Regierung sich ihres Gefangenen allzu deutlich bewusst war, hatte er keine Chance, das, was er brauchte, aus dem Mann herauszuholen. Somit blieb nur noch eine Möglichkeit. Jean-Claude La Roux musste entkommen. Er seufzte. Genau das hatte er seinem Betreuer im Lauf der letzten zwei Monate viele Male gesagt.
Stefan beschrieb mit einer ausholenden Geste die zahllosen Fotografien an den Wänden. »Du hast ja ‘ne Menge Bilder, Rolex, aber nicht einen einzigen Brief. Ich glaube, deine Frau treibt sich mit einem anderen Mann an diesem Strand herum und lacht sich kaputt.«
Jean-Claude brachte das Foto wieder an der Wand an, wobei seine Hand über das Glanzpapier glitt. Stefan bemerkte mit einer gewissen Genugtuung, dass die Finger des Gangsterbosses zitterten, als er das Gesicht der Frau berührte.
»Siehst du etwa auf einem dieser Fotos einen Mann?« Jean-Claude musterte ihn mit offenkundiger Verachtung.
Stefan wusste, dass er selber nicht gerade einen grandiosen Anblick bot. Er war groß und hatte kräftige, breite Schultern, einen stark muskulösen Brustkorb und Arme mit einem prallen Bizeps. Er wirkte weder wohlerzogen noch reich oder charmant. Er sah aus wie ein Rohling, nicht besonders gescheit, mit längerem Haar und reichlich verdreckt. Ein Narbengeflecht überzog seine Haut und seine Hände waren schwielig, die Knöchel vom Gebrauch gerötet. Er hatte ein eckiges Kinn und blaugrüne Augen, die anderen Menschen mitten in die Seele blickten und sie für schuldig befanden. Stefan strahlte durch reine Körperkraft rohe Gewalt aus, und Männer wie Jean-Claude taten jemanden wie ihn automatisch als einen reinen Muskelprotz ab – sie warfen nie einen Blick hinter die Fassade, um zu sehen, ob sich hinter der Maske eines Rohlings Intelligenz verbarg.
In Gedanken benutzte er so oft wie möglich seinen wahren Namen, Stefan Prakenskij, da er so oft Decknamen trug, dass er befürchtete, eines Tages zu vergessen, wer er war. Und vielleicht hatte er seine Identität bereits verloren, schon vor langer Zeit. Was war er? Wer war er? Und wen interessierte das überhaupt? Es gab keine schöne Frau in seinem Leben, die an einem Strand stand, traurig aussah und sich nach ihm verzehrte – und es würde auch nie eine geben. Er war erfolgreich in seinem Job, weil er sich weigerte, Frauen wie die, von der Jean-Claude besessen war, in sein Bewusstsein vordringen zu lassen.
Er warf erneut einen Blick auf die Bilder, mit denen die fleckige Wand überzogen war. Es waren Hunderte. Jean-Claude ließ die Frau schon seit langer Zeit überwachen. Im Lauf der Jahre, die der Mann im Gefängnis verbracht hatte, hatte sie sich kaum verändert, aber es stimmte, dass auf keinem der Fotos von ihr jemals ein Mann zu sehen war. Stefan fluchte tonlos und wandte sich von den Bildern ab.
Diese Frau wäre jedem unter die Haut gegangen, wenn man sie nur lange genug anstarrte. Also wirklich, was hätte man in einer winzigen Gefängniszelle auch anderes tun können, als ihre Lippen und Augen und all dieses lange, schimmernde Haar zu betrachten? Jean-Claude war regelrecht süchtig nach ihr, und Stefan hatte diese Schwäche augenblicklich erkannt und sie gegen den Mann eingesetzt, um ihn reif für die Flucht zu machen. Er sah keine anderen Männer auf den Fotografien, aber wer hätte den Gedanken ertragen, dass ein anderer Mann all diese zarte Haut berührte?
»Eines muss ich dir lassen, Rolex, sie ist eine Schönheit. Wo zum Teufel ist dir eine solche Frau begegnet?« Es war an der
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