Huff, Tanya
so konstant gewesen war, hatte jetzt Gesellschaft von
anderen. Er spürte sie außerhalb seiner Bandagen, sie riefen, sie waren, sie
trieben ihn zur Raserei mit ihrer Nähe und Unerreichbarkeit. Wenn er sich nur erinnern könnte ...
Dann begannen
die ihn umgebenden Ka plötzlich zu verschwim men.
Fast panisch griff er nach dem, das er kannte und fühlte, wie es sich
entfernte. Er klammerte sich daran, solange es ging, dann klammerte er sich an das Gefühl, dann an die
Erinnerung.
Nicht allein. Bitte nicht wieder allein.
Als es zurückkam, hätte er geweint, wenn er sich hätte erinnern können,
wie man weint.
Von einer
ausführlichen Dusche und einer durchschlafenen Nacht erfrischt und von nichts anderem geplagt als einem vagen Gefühl von
Verlust, starrte Rax den Sarkophag an. Dieser war katalogisiert worden - gemessen, beschrieben, mit der
Indexnummer 991.862.1 versehen - und
war nun offiziell im Besitz des Royal Ontario Muse um. Die Zeit war da.
„Ist die Videokamera klar?" fragte er und zog ein Paar neue Baum wollhandschuhe an.
„Ist klar,
Doktor!" Doris Bercarich, die für die meisten der in der Abteilung
anfallenden fotografischen Arbeiten zuständig war, blin zelte durch den Sucher. Sie hatte schon zwei Rollen Film verknipst -
einen schwarzweißen, einen in Farbe -, und nun hing ihre Kamera um den
Nacken der technisch versierteren der beiden studentischen Hilfskräfte. Der Mann würde weiter fotografieren,
während sie film te. Wenn es nach ihr
ging, und das tat es, würde dies eine außergewöhnlich umfassend dokumentierte
Mumie werden.
„Dr. Shane, bereit?"
„Bereit, Dr.
Rax." Die stellvertretende Kuratorin zog ihre Baum wollhandschuhe zurecht und nahm den sterilen Wattebausch, auf dem das Siegel nach der Entfernung landen sollte.
„Sie können anfangen."
Er nickte, holte einmal tief Luft und kniete sich hin. Der sterile
Wattebausch war, wo er sein sollte. Rax schob die flexible Klinge des Streichmessers hinter das Siegel und arbeitete vorsichtig an dem jahrhundertealten Ton. Auch wenn seine Hände ruhig waren, ver knotete sich sein Magen zu einem Klumpen, der immer fester wurde, während die
Sekunden verstrichen und seine Angst wuchs, trotz der Konservierungsmittel
könnte das Siegel nur als formlose Handvoll roten Staubs entfernt werden.
Währenddessen schilderte er in einem leise
gesprochenen Kommentar alles, was er durch den Schaft des Messers hindurch
spürte.
Dann fühlte er, wie etwas nachgab, und auf der Oberfläche des Siegels
entstand ein kaum haarbreiter, diagonaler Spalt.
Einen Herzschlag lang war das sanfte Surren der Videokamera das einzige Geräusch im ganzen Raum.
Einen weiteren Herzschlag später lag das Siegel, glatt in zwei Hälf ten gespalten und von den Konservierungsmitteln gehalten, auf dem Wattebausch.
Die gesamte ägyptische Abteilung begann wie ein Mann wieder zu atmen.
Er spürte, wie das Siegel brach, hörte das Bersten durch die Zeit alter hallen.
Er erinnerte
sich, wer er war. Was er war. Was sie getan hatten.
Er erinnerte sich an Wut.
Aus dieser Wut erwuchs ihm Kraft, und dann bäumte er sich gegen seine
Fesseln auf. Zuviel von dem Zauber war noch wirksam; er war jetzt ganz bei Bewußtsein, aber immer noch gebunden, und sein Ka heulte
lautlos vor hilfloser Frustration.
Ich werde frei sein!
„Bald",
kam die ruhige Antwort. „Sehr bald".
Der Rest des Tages verging mit dem Entfernen des Mörtels. In Dr. Rax' Büro
stapelten sich die unbearbeiteten Papiere, und täglich kamen neue hinzu;
dennoch entschied sich der Wissenschaftler, lieber im Werkraum zu bleiben.
„Was immer sie da versiegelt haben - sie machen es einem nicht leicht, ranzukommen!" Dr. Shane richtete sich auf und massierte
sich mit einer Hand den Rücken. „Sie sind sicher,
daß Ihre Lordschaft keine Ahnung hatte, wo sein ehrenwerter Ahnherr dieses Ding
aufgelesen haben könnte?"
Dr. Rax fuhr mit dem Finger über den Mörtel. „Nein, er hatte keine Ahnung." Dr. Rax hatte eigentlich fest damit gerechnet, daß die Arbeit ihn froh stimmen würde, doch statt dessen war er nur ungeduldig. Alles dauerte so unendlich lang - eine ihm eigentlich
wohlvertraute Tatsache, die ihm nicht hätte als Problem erscheinen
dürfen. Er rieb sich die Augen und versuchte, den beunruhigenden Wunsch,
einfach mit einem Vorschlaghammer auf den Stein loszu-gehen, aus seinem Kopf zu
verbannen.
Dr. Shane
seufzte und beugte sich wieder über den Mörtel. „Was gäbe ich nicht für ein paar
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