Human
überall gleichen, ob sie nun aus Melds oder aus Naturals bestehen.« Er beugte sich zu ihr und deutete auf die aus der Menge hervorstechenden Polizisten. »Siehst du die Bullen? Die sehen eigentlich ganz gelassen aus, findest du nicht? Das ist ein sicheres Anzeichen dafür, dass sie die Sache unter Kontrolle haben, sonst wären mehr davon hier, hätten sich mit gezückten Waffen verteilt und würden vielleicht sogar Verstärkung rufen. Ich kenne mich in diesem Teil der Welt nicht aus, habe aber meine Erfahrungen mit den Bullen gemacht. Wenn sie so entspannt sind, dann kannst du darauf wetten, dass sie alles unter Kontrolle haben.«
Sie warteten, dass sich der Mob auflöste oder weiterbewegte. Stattdessen wurde das Geschrei der beiden gegensätzlichen Gruppen immer lauter und aggressiver. Die Lage wurde auch nicht besser, als mehrere Teilnehmer, die umfangreiche Kehlen-Melds besaßen, sodass sich ihr Hals wie der eines Ochsenfrosches aufblähte, auf beiden Seiten einander Drohungen zuriefen und sich so lautstark herausforderten, dass es trotz des allgemeinen Lärms zu hören war.
Konfrontiert mit der Aussicht auf noch mehr Gewalt wusste Ingrid nicht, ob sie in Deckung gehen oder auf ihren Begleiter vertrauen sollte. Was das Leben auf der Straße anging, so hatten sich seine Ratschläge bisher zugegebenermaßen immer als zutreffend erwiesen. Aber sie befanden sich hier auch nicht in Savannah.
Während sie das Geschehen fasziniert beobachteten, begann eine Gruppe, rhythmisch aufzustampfen und zu singen, was ebenso fesselnd wie einschüchternd wirkte. Die Gegenseite reagierte sofort mit einer völlig anderen Reihe von Schrittfolgen und Gesängen. Dabei machten die übergroßen und oftmals sehr extremen Melds mit ebenso enthusiastischen und dabei schamlos simplen Naturals gemeinsame Sache, und es war, als würden sich zwei Armeen mit Tanz und Gesang anstelle von Waffen bekämpfen. Was im Grunde genommen genau das war, was gerade stattfand.
»Das ist ein Toyi-Toyi .«
Ingrid hatte den jungen Mann nicht gehört, der auf einmal zwischen ihnen auftauchte. Das war in einer normalen Umgebung schon nicht ungewöhnlich, und erst recht nicht an diesem Ort, an dem eine derart lautstarke Demonstration stattfand. Außergewöhnlich war jedoch, dass selbst Whispr den Neuankömmling nicht bemerkt zu haben schien. Als sie ihn anstarrte (sie konnte nicht anders, sie war nun mal Ärztin), schätzte sie ihn auf etwa achtzehn, konnte das allerdings nicht mit Gewissheit sagen. Er konnte auch fünfzehn, sechzehn oder dreißig sein. Das dichte braune Fell, das seinendeformierten, manipulierten Schädel bedeckte, war ebenso irritierend wie abstoßend.
Und dann waren da noch seine alles andere als kleinen Augen.
Auch wenn sie diese durch die riesige Sonnenbrille, die einen Teil seines Gesichts verdeckte, nicht richtig sehen konnte, ließen die Gläser dennoch genug Licht hindurch, dass sie erkennen konnte, dass diese von einem auf Augenheilkunde spezialisierten Biochirurgen vergrößert worden waren, der auf seinem Gebiet Experte war. Damit die Augäpfel doppelt so groß werden konnten, waren auch die Augenhöhlen deutlich erweitert worden. Trotzdem war sein Schädel schmaler als normalerweise üblich. Auch wenn er nicht an die Proportionen von Whisprs Kopf herankam, wirkte er gerade im Vergleich zu den riesigen glänzenden Augen unnatürlich klein.
Nachdem die Ohren erst aus ihrer normalen Position entfernt und oben auf dem Schädel wieder angebracht worden waren, hatte man sie trianguliert und nach vorn ausgerichtet. Das braune Fell bedeckte jeden sichtbaren Zentimeter mit Ausnahme eines breiten nackten Streifens, der sein Gesicht dominierte. Einige der Zähne waren spitz, und der linke Schneidezahn (aber nur der linke) ragte nach draußen über die eingesunkene Lippe hervor. Als sie den Blick senkte, erkannte sie, dass die Finger des jungen Mannes länger und dünner waren als üblich. Außerdem standen die Knöchel weiter vor, als es bei einem normalen Menschen der Fall war.
Zwar war Whispr ein wenig beunruhigt, dass sich jemand von hinten an ihn angeschlichen hatte, doch das Aussehen des anderen Meld irritierte ihn nicht weiter. Zu Hause in Savannah hatte er schon weitaus radikalere Veränderungen gesehen.
»Ist das ein Grasland-Meld?«, erkundigte er sich. »Darüber habe ich schon was gelesen.«
Der junge Mann schüttelte den Kopf, richtete den Blick aber weiterhin auf die Demonstration, die etwa einen Steinwurf von ihnen
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