Human
entfernt stattfand. »Es basiert auf einer Kreatur, die auf einer Insel in Küstennähe lebt. Es ist ein Lemur-Meld. Seit meiner Kindheit liebe ich Lemuren. Ich habe mein Subsist jahrelang gespart, damit ich mir dieses Meld leisten konnte, als ich alt genug war. Jetzt hab ich das Komplettpaket. Sehen Sie?« Stolz vollführte er vor ihnen eine Pirouette. Etwas, das an ein braunes Seil erinnerte, hätte dabei beinahe Ingrids Gesicht gestreift. Dank der Meld-Muskeln war der transplantierte, in einem Tank herangewachsene Schwanz voll funktionstüchtig.
Sein Vorhandensein überraschte Ingrid nicht. Seitdem es Melds gab, hatten Schwänze zu den beliebtesten und am einfachsten zu realisierenden Manipulationen gehört. Zu den seltenen Gelegenheiten, an denen sie darüber nachgedacht hatte, ihre Natürlichkeit aufzugeben, war ein Schwanz unter den Bioaccessoires gewesen, die sie als Erstes mit in Erwägung gezogen hatte. Mit einem wohlgeformten Schwanz konnte man den Angehörigen des anderen Geschlechts hervorragend den Kopf verdrehen. Laut der Psychologen hatte das etwas mit einer atavistischen Sehnsucht und den natürlichen Rhythmen eines Körpers in Bewegung zu tun. Dieser Lemur-Meld war zweifellos sehr stolz auf sein verändertes Erscheinungsbild.
» Toyi-Toyi ?«, griff sie das vorherige Thema wieder auf.
»Tanzen und Singen, um seinen Protest zum Ausdruck zu bringen oder einen Gegner zu entwaffnen. Eine sehr alte lokale Tradition, auch wenn einige behaupten, wir hätten sie von den Zimbabwern gestohlen. Doch heutzutage interessiert das ohnehin niemanden mehr, da sich alle hiesigen Stämme vereint und den SAHV gebildet haben.« Die riesige Sonnenbrille wurde in Ingrids Richtung gedreht. »Diese Art der Demonstration ist für Nichtteilnehmer harmlos, wie Ihr Begleiter gesagt hat.«
Whispr war nicht bereit, sich durch beiläufigen Small Talk ablenken zu lassen. »Wie lange hast du dich schon versteckt und uns beobachtet, Käferauge?«
Protestierend hob der Lemur-Meld seine langen, fellbedeckten Hände. »Hey, ich bin einfach nur meines Weges gegangen und habe Sie im Vorbeigehen entdeckt. Als ich hörte, dass Sie keine Einheimischen sind, bin ich neugierig geworden. Sie sehen auch überhaupt nicht einheimisch aus. Wo kommen Sie her?«
»Von irgendwo anders«, erwiderte Whispr angespannt.
Der Teenager nickte verständnisvoll. »Ich wollte Sie nicht aushorchen, wirklich nicht.« Dann wandte er sich wieder an Ingrid. »Ich weiß nicht, wie es bei Ihrem dürren Freund aussieht, aber Sie haben ängstlich ausgesehen und auch so geklungen. Also hab ich mir gesagt: Phosa, sei nett, geh hin und beruhige die hübsche Dame. Selbst wenn es zum Kampf kommt, wird man Sie in Ruhe lassen, weil Sie beide zu keiner der beteiligten Gruppen gehören.«
»Was sind das für Gruppen?«, wollte Ingrid wissen, die weiterhin zwischen dem fellbedeckten Kommentator und der wütenden Konfrontation hin und her blickte. »Ist das eine Art politische Demonstration?«
Seine spitzen Ohren zuckten, als er den Kopf schüttelte. Die riesigen manipulierten Augen hinter der Sonnenbrille wirkten traurig.
»Man sollte meinen, dass es heutzutage keine Stammesauseinandersetzungen mehr gäbe. Wie schon gesagt, weil Saft jetzt so gut wie alles vom Kap bis zum Kongo regelt, sollte man glauben, dass es nur noch Streitigkeiten zwischen Firmen gäbe. Entschuldigen Sie das Klischee, aber alte Gewohnheiten sterben nur langsam aus.« Er deutete auf die Konfrontation vor ihnen. »Vor Ihren Augen, interessierte Besucher, läuft gerade gratis der anthropologische Film ›Stammesauseinandersetzung‹.« Er richtete die Ohren nach vorne. »Soweit ich es herausfinden konnte, geht es um die Verteilung von Regierungsgeldern für einen Luftkommunikationsdienst in bestimmten Teilen der Wets.« Dann wandte er den Blick von der zunehmend angespannteren Auseinandersetzung ab und richtete ihn auf den Boden. »Das ist sehr traurig.«
»Ich werde dir sagen, was traurig ist.« Whispr war näher an Ingrid und den Jungen herangetreten. »Dass du uns in eine politische Unterhaltung verwickeln willst, während du heimlich versuchst, dein manipuliertes Anhängsel in die Tasche meiner Freundin zu stecken.« In diesem Moment packte er den Meld-Schwanz des Teenagers mit beiden Händen.
Dieses schlanke, geschmeidige und zum Greifen geeignete Anhängsel hatte tatsächlich versucht, sich in ihre Tasche zu schlängeln, während sein Besitzer diese Versuche mit seinem Körper abzuschirmen
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