Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hunde Jahrbuch

Hunde Jahrbuch

Titel: Hunde Jahrbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dreizehn Autoren
Vom Netzwerk:
tippelte er ins Feld und schmiss mich ins Korn.
    Bald bekam ich den Auftrag, auf Borek aufzupassen, denn er war ein Streuner. Mein Onkel beklagte sich, dass der Hund tagelang verschwinden würde, dann käme er dreckig und ausgehungert zurück und kein Mensch wüsste, wo er sich rumgetrieben hatte. Er ginge wohl auf Brautschau. Ich wunderte mich nur, wo in dieser Gegend eine Hündin sein konnte. Weit und breit wohnte hier kein Mensch, nur die Grenzposten waren da. Die hatten zwar Hunde, aber an diese kam ein anderer Hund nicht heran. Irgendwann war Borek wieder einmal auf Tour. Mein Onkel drohte mit einem Stock: „Wenn der zurückkommt!!! Der kommt an die Kette!“ Borek kam nach zwei Tagen in einem schrecklichen Zustand nach Hause. Er war dreckig, hungrig und auf seinem Rücken hatte er blutende Wunden, die aussahen, als hätte er sich an einem Stacheldraht gerissen. Mein Onkel ließ Borek im Hof mit einem Wasserschlauch abspritzen, gab ihm Futter und Wasser und band ihn an die Kette.
    Am nächsten Tage winselte Borek im Hof herzzerreißend. Mir tat er leid und ich ließ ihn laufen. Auf dem Dach des Hauses war ein kleiner Turm mit einer Glocke. Ich nahm Onkels Feldstecher, der noch aus dem Krieg stammte, und beobachtete Borek, wohin er ging. Seine Schwanzspitze ragte über den Weizen und ich konnte sehen, dass er in Richtung Wald pirschte und darin verschwand. Ich dachte, er würde wildern gehen. Mit dem Feldstecher konnte ich über den Grenzstreifen auf die ersten westdeutschen Dorfhäuser schauen. Auf einmal sah ich Borek auf der Straße. In voller Größe tippelte er an den Häusern vorbei. Der Hund ging auf Brautschau – hinter dem eisernen Vorhang!
    Das kann nicht wahr sein!, dachte ich voller Entsetzen. Zwischen Westdeutschland und der Tschechoslowakei war nicht nur ein Drahtzaun, der elektrisch geladen war, sondern auch der Todesstreifen mit dem Minenfeld. Außerdem patrouillierten ständig Grenzwachposten mit scharfen Hunden. Borek wog fünfzig Kilo. Nicht einmal ein Hase konnte über die Minen gehen. Man hörte sie oft explodieren, wenn Wildwechsel war. Wie kam der Hund ungesehen zur anderen Seite? Ich konnte es nicht begreifen und bekam höllische Angst, dass er erschossen werden könnte. Mein Onkel hätte mich umgebracht, weil ich Borek trotz strikten Verbotes von der Kette befreit hatte!
    Ich wartete mit zitternden Knien auf die Rückkehr der Familie vom Feld und betete zum lieben Gott, dass Borek ungeschoren zurückkehrte. Kurz vor dem Onkel kam er, mit wedelndem Schwanz, als wäre nichts geschehen. Ich band ihn sofort an die Kette und war heilfroh, dass niemand wusste, was sich am Tage abgespielt hatte.
    Diese und die folgenden Nächte schlief ich sehr schlecht. Die Geschichte mit Borek ging mir nicht aus dem Kopf. Ich konnte an nichts anderes mehr denken. Tausende von Menschen riskierten ihr Leben, um zu flüchten, und unser Borek ging und kam, wann immer er wollte! Es gab also eine Möglichkeit, über die Grenze zu kommen, Borek war der Beweis. Ich hätte meinen Onkel fragen können, aber dann hätte er gewusst, dass ich Borek frei ließ. Ich hütete also dieses Geheimnis und behielt es für mich. Eines Tages fällte ich eine Entscheidung! Ich wollte Borek von der Kette lassen und mit ihm gehen. Der Gedanke ließ kalten Schweiß auf meinem ganzen Körper ausbrechen, aber ich fieberte dieser Chance entgegen. Ich durfte sie nicht verpassen. Das System in unserem Land war mir verhasst.
    Die Nacht vor meiner Flucht schlief ich gar nicht mehr. Ich war die Erste am Frühstückstisch und lauerte auf die Abfahrt der Familie ins Feld. Ich versteckte meinen Ausweis und die Grenzgenehmigung unter meinem Hemd, nahm Proviant für mich und Borek mit, band ihn los und gab ihm den Befehl: „Geh zum
    Hundchen! Geh!“ Borek schaute mich an, als ob er mich verstehen würde, ging los und ich dicht hinter ihm.
    Die Waldstrecke bis zum Grenzzaun war sehr mühsam. Über Stock und Stein und durch Sumpf und Sträucher kamen wir schließlich zu einem kleinen Felsen, an dem der Drahtzaun ungefähr einen halben Meter hoch über dem Boden hing. Borek und ich krochen nacheinander auf die andere Seite. Auf einem Matschfeld, mit Sträuchern bewachsen, ging ich dicht hinter dem Hund, genau in seinen Pfotenspuren. Ich ahnte, das musste vielleicht das Minenfeld sein, und achtete genau darauf, nirgendwo anders hinzutreten, als Borek es tat. Ich wog ja nicht mehr als er und wenn er nicht in die Luft ginge, überlebte ich es

Weitere Kostenlose Bücher