Hundeelend
ich mir online bei einem Apothekenversand in Guadalajara, Mexiko, bestelle.
Es war eine ruhige Zeit im Kein Alibi, und das nicht nur, weil die Kunden von Mutters bedrohlichem Gesicht abgeschreckt wurden, das sie durchs Schaufenster anstarrte. Auch wenn Bücher nach wie vor ein beliebtes Geschenk sind, haben die Leute einfach keine Zeit mehr, an Weihnachten gemütlich herumzustöbern und Fachleute um Rat zu fragen. Sie gehen lieber zu einer dieser großen Kaufhausketten, schieben einen Einkaufswagen herum und stapeln darin billige Bücher, als wären es Bohnen oder Nudeln oder Zwiebeln oder Kartoffeln oder Reis oder Dosenpfirsiche oder Schokokekse oder Salzstangen oder Gummibärchen. Aber Bücher sind keine Bohnen. Es dreht sich dabei nicht nur um Profit. Es geht um das Buch. Man muss die Mühen würdigen, die das Verfassen eines Buchs kostet. Man muss die Liebe und die Opfer zu schätzen wissen, die darin einfließen. Die Jahre der Plage. Den langen und qualvollen Weg von den ersten flüchtigen Skizzen bis hin zu dem Exemplar, das schließlich im Verkaufsregal steht. Niemand hat je so viel Sorgfalt in den Werdegang einer Bohne investiert. Und wenn sie dann endlich erscheinen, werden so viele gute Bücher einfach ignoriert, vergessen und verramscht, weil sie nicht zu mir gelangen. Meine Rolle in dieser Gesellschaft, meine Aufgabe im Leben ist es nämlich, die besten Werke der Kriminalliteratur auszuwählen und anschließend sicherzustellen, dass sie bei den richtigen Leuten landen; eine undankbare Aufgabe, besonders weil es so wenig
richtige Leute gibt. Falsche Leute dagegen gibt es im Überfluss. Ein hervorragendes Beispiel dafür war der bärtige Mann, der sich meiner Theke näherte, ohne auch nur so zu tun, als würde er nach einem Buch Ausschau halten. Trotz seines höflichen Angebots an meine Mutter, und obwohl seine Miene nach ihrer wüsten Beschimpfung weiter unverändert freundlich blieb, brachte mich irgendetwas an seinem Auftreten sofort auf die Palme. Vielleicht lag es an diesen extravaganten Kleidern; so etwas tragen die Leute üblicherweise, um einen Mangel an Persönlichkeit zu kaschieren.
»Haben Sie Internetanschluss?«, fragte er unvermittelt.
»Danke, kein Bedarf.«
»Nein, ich wollte Ihnen etwas zeigen.«
»Danke, kein Bedarf.«
Offensichtlich war er ein Vertreter mit einer ziemlich lässigen Berufsauffassung. Er wollte mir seine Waren andrehen, indem er mir auf meine Kosten ein Verkaufsvideo im Internet zeigte.
Er ließ seine blendend weißen Zähne sehen. »Mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie sich gelegentlich mit der Lösung von Kriminalfällen herumschlagen.«
»Nein.«
»Oh. Man hat mir gegenüber angedeutet …«
»Ich schlage mich nicht damit herum.«
Bei der Verbrechensbekämpfung ist ein gewisses Maß an Arroganz durchaus nützlich, und im Buchgeschäft ist es geradezu unabdingbar. Und obwohl ich mir nichts davon anmerken ließ, befriedigte mich die Anwesenheit
dieses Mannes in meinem Buchladen ungemein. Offenkundig wuchs mein Ruf beständig. Buchhändler, die aufgrund ihres Fachwissens rätselhafte Verbrechen aufzuklären vermögen, sind eine vom Aussterben bedrohte Spezies. Tatsache ist, Buchhändler sind überhaupt eine vom Aussterben bedrohte Spezies. Und ich bin eine ganz besonders vom Aussterben bedrohte Spezies wegen meiner ständigen Diäten, meiner Allergien, meiner unheilbaren Krankheiten, meines gebrochenen Herzens und der allgemeinen wirtschaftlichen Lage. Dennoch kommen die Menschen zu mir, weil ich ihre letzte Hoffnung bin. Weil sie zu Opfern von Verbrechen wurden, die zu komplex oder zu trivial sind für die staatlichen Ordnungsmächte, die entweder davor kneifen oder sie für unter ihrer Würde befinden. Demonstrativ blickte ich auf meine Uhr, als hätte ich eine dringende Verabredung. Als er nicht sofort etwas sagte, knurrte ich ein verbindliches: »Entschuldigung, gibt es sonst noch was, das ich für Sie tun kann?«
Das Lächeln blieb in seinem Gesicht fixiert. »Wissen Sie, wer ich bin?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nö.«
»Erkennen Sie mich wirklich nicht?«
Er hatte kleine, ungläubig blickende Äuglein. Seine Tränensäcke verrieten ein fortgeschrittenes Alter und straften die mit Botox aufgepolsterten Gesichtszüge Lügen. An seinem Bart war vermutlich nichts auszusetzen, aber ich bin allergisch gegen Bärte. In ihnen verfangen sich Essensreste. Zecken, Käfer und Spinnen nisten darin. Ich hasse Bärte. Und ich hasse Menschen, die Bärte
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