Hundert Jahre Einsamkeit
aufgebaut, deren Glasaugen ihnen einen beunruhigenden Anschein von Leben verliehen und deren kunstvoll bestickte Tuchgewänder besser waren als die von irgendeinem Bewohner Macondos je getragenen Kleider. Nach und nach ging der Trauerglanz des alten, eiskalten Herrenhauses über auf das leuchtende Haus der Buendías. »Jetzt haben sie uns den ganzen Familienfriedhof geschickt«, bemerkte Aureliano Segundo einmal. »Jetzt fehlen nur noch die Trauerweiden und Grabsteine.« Auch wenn in den Kisten nie etwas ankam, womit die Kinder hätten spielen können, warteten sie das ganze Jahr auf den Dezember, weil die altmodischen, stets ungeahnten Geschenke schließlich doch eine Neuigkeit im Haus darstellten. Beim zehnten Weihnachtsfest, als der kleine José Arcadio sich für seine Abreise ins Seminar vorbereitete, kam sehnlicher erwartet als in den früheren Jahren die riesige Kiste des Großvaters an, fest vernagelt, mit Pech wasserdicht gemacht und mit der üblichen Aufschrift in gotischen Buchstaben an die hochwohlgeborene Señora Doña Fernanda del Carpio de Buendía gerichtet. Während sie den Brief im Schlafzimmer las, machten die Kinder sich eilends ans Aufmachen der Kiste. Mit Aureliano Segundos gewohnter Hilfe erbrachen sie die Pechdichtung, zogen die Nägel aus dem Deckel, beseitigten die Schutzschicht Sägespäne und fanden darin einen mit Kupferbolzen verschlossenen Bleikoffer. Aureliano Segundo entfernte vor den ungeduldigen Kinderaugen die acht Bolzen und hatte kaum Zeit, sie mit einem Schrei beiseitezuschieben, als er die Bleidecke hob und Don Fernande erblickte, schwarz gekleidet und ein Kruzifix auf der Brust, während die geplatzte Haut Pestilenz rülpste und wie auf kleinem Feuer in schaumigem, sprudelndem, lebendig perlendem Saft kochte.
Bald nach der Geburt des Mädchens wurde das von der Regierung anberaumte, von allen unerwartete Jubiläum des Oberst Aureliano Buendía angekündigt, das gemeinsam mit dem Jahrestag des Friedensvertrags von Neerlandia begangen werden sollte. Doch dieser Entscheid stand dermaßen im Widerspruch zur offiziellen Politik, daß der Oberst sich heftig gegen die Feier aussprach und die Ehrung zurückwies. »Zum ersten Male höre ich das Wort Jubiläum«, sagte er. »Was es auch bedeuten mag, es kann nur eine Verhöhnung sein.« Nun füllte sich die enge Goldschmiedewerkstatt mit Emissären. Wieder kamen die viel älter und viel feierlicher gewordenen Anwälte in dunklen Anzügen, die zu einer anderen Zeit den Oberst wie Raben umflattert hatten. Als dieser sie auftreten sah, konnte er den Zynismus ihrer Glückwünsche nicht ertragen. Er befahl ihnen, ihn in Ruhe zu lassen, und bestand darauf, kein Vorkämpfer der Nation zu sein, wie sie behaupteten, sondern ein Kunsthandwerker ohne Erinnerungen, dessen einziger Traum sei, altersschwach zu sterben, in Vergessenheit und im Elend seiner goldenen Fischchen. Am meisten empörte ihn die Nachricht, daß sogar der Präsident der Republik beabsichtigte, dem Festakt in Macondo beizuwohnen, um ihm den Verdienstorden zu überreichen. Oberst Aureliano Buendía befahl ihnen, ihm wortwörtlich auszurichten, er erwarte mit ehrlicher Ungeduld jene verspätete, obschon wohlverdiente Gelegenheit, ihm eine Kugel zu verpassen, doch nicht, um ihm die willkürlichen, unzeitgemäßen Maßnahmen seines Regimes heimzuzahlen, sondern weil er einen Greis mißachte, der keinem Menschen etwas zuleide getan habe. So heftig stieß er seine Drohung hervor, daß der Präsident der Republik seine Reise in letzter Minute widerrief und ihm die Auszeichnung durch einen persönlichen Vertreter überbringen ließ. Bedrückt von mancherlei Sorgen, verließ Oberst Gerineldo Márquez sein Lahmenbett, um seinen alten Waffengenossen umzustimmen. Als dieser den von vier Männern getragenen Schaukelstuhl näher kommen sah, darin in gebauschten Kissen den Freund, der seine Siege und Mißgeschicke seit seiner Jugend geteilt hatte, zweifelte er nicht einen Augenblick, daß er diese Beschwerlichkeit nur auf sich nahm, um ihm seine Solidarität zu bekunden. Doch als er den wahren Zweck seines Besuches erfuhr, warf er ihn aus seiner Werkstatt:
»Ich komme zu spät zu der Überzeugung«, sagte er, »daß ich dir einen großen Gefallen getan hätte, wenn ich dich hätte erschießen lassen.«
So wurde das Jubiläum schließlich ohne Beteiligung irgendeines Familienmitgliedes begangen. Zufällig fiel es in die Karnevalswoche, doch niemand vermochte dem Oberst Aureliano Buendía die
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