Hundert Jahre Einsamkeit
Idee auszureden, auch dieser Zufall sei von der Regierung vorausgeplant worden, um die Verhöhnung noch grausamer fühlbar zu machen. Von seiner Werkstatt aus hörte der Einsame die Marschmusik, die Böllerschüsse, das Glockengeläut des Tedeums und einige Sätze der vor dem Haus gehaltenen Reden, als die Straße auf seinen Namen umgetauft wurde. Seine Augen wurden feucht vor Empörung, vor wütender Ohnmacht, und zum erstenmal seit der Niederlage litt er darunter, nicht mehr den Schneid der Jugend zu haben, um einen blutigen Krieg zu entfesseln, der das konservative Regime bis zu den letzten Spuren ausgelöscht hätte. Das Echo der Ehrung war noch nicht verhallt, als Ursula an die Türe der Werkstatt klopfte.
»Stört mich nicht«, sagte er. »Ich bin beschäftigt.«
»Mach auf«, beharrte Ursula mit Alltagsstimme. »Es hat nichts mit dem Fest zu tun.«
Oberst Aureliano Buendía schob den Riegel zurück und erblickte in der Tür siebzehn Männer von unterschiedlichstem Aussehen, von allen Arten und Hautfarben, doch alle mit jenem einsamen Gesichtsausdruck, der genügt hätte, um sie an irgendeinem Fleck der Erde zu erkennen. Es waren seine Söhne. Ohne sich zu verabreden, ohne sich gegenseitig zu kennen, waren sie, angelockt vom Jubiläumstrubel, aus den entlegensten Winkeln des Küstenlandes herbeigeeilt. Alle trugen stolz den Namen Aureliano und den Zunamen ihrer Mütter. Während der drei Tage ihres Aufenthalts, sehr zu Ursulas Genugtuung und zu Fernandas Ärgernis, verursachten sie kriegsähnlichen Umtrieb. Amaranta suchte unter alten Papieren das Kontobüchlein, in dem Ursula die Namen sowie die Geburts- und Taufdaten aller aufgeschrieben hatte, und notierte daneben ihren jeweiligen augenblicklichen Aufenthaltsort. Anhand dieser Liste hätte man zwanzig Jahre Krieg rekapitulieren können. Mit ihr hätte man die Nachtwege des Obersten rekonstruieren können von dem Tagesanbruch an, da er von Macondo an der Spitze von einundzwanzig Mann zu einer kopflosen Rebellion ausgezogen war, bis er zum letztenmal in seiner blutverkrusteten Decke heimkehrte. Aureliano Segundo versäumte nicht die Gelegenheit, die Vettern mit einem donnernden Akkordeon- und Champagnergelage zu feiern, das als verspäteter Ausgleich für den infolge der Jubiläumsfeier mißlungenen Karneval gewertet wurde. Sie schlugen die Hälfte des Geschirrs entzwei, zertrampelten bei der Verfolgung eines Stiers, den sie prellen wollten, die Rosenstöcke, knallten die Hühner über den Haufen, zwangen Amaranta, Pietro Crespis wehmütige Walzer zu tanzen, erreichten, daß Remedios die Schöne Männerhosen anzog und den Klettermast erklomm, und ließen endlich im Speisezimmer ein talgbeschmiertes Schwein los, das Fernanda umrannte; doch niemand beklagte die Widerwärtigkeiten, da das Haus von einem Erdbeben guter Gesundheit zu erzittern schien. Oberst Aureliano Buendía, der sie anfangs argwöhnisch empfangen und sogar die Herkunft etlicher angezweifelt hatte, freute sich an ihren Verrücktheiten und beschenkte jeden vor seiner Abreise mit einem goldenen Fischchen. Sogar der menschenscheue José Arcadio Segundo ergötzte sie mit einem Hahnenkampfnachmittag, der fast mit einer Tragödie geendet hätte, weil mehrere der Aurelianos keine so guten Schiedsrichter von Hahnenkämpfen waren, daß sie auf den ersten Blick die Kniffe des Paters Antonio Isabel entlarvten. Aureliano Segundo, der die unbegrenzten Möglichkeiten der Lustbarkeiten sah, die eine so gewalttätige Verwandtschaft verhieß, entschied, alle sollten dableiben und mit ihm zusammenarbeiten. Der einzige, der das Anerbieten annahm, war Aureliano Triste, ein hochgewachsener Mulatte mit dem Schwung und Forschergeist des Großvaters, der sein Glück bereits in der halben Welt versucht hatte und daher mit jedem Aufenthaltsort zufrieden war. Die anderen, wiewohl noch unverheiratet, betrachteten ihr Schicksal als besiegelt. Alle waren geschickte Handwerker, häuslich gesinnte Männer, friedliche Leute. Am Aschermittwoch, bevor sie wieder ins Küstenland ausschwärmten, erreichte Amaranta, daß sie Sonntagskleider anzogen und sie in die Kirche begleiteten. Eher belustigt als fromm, ließen sie sich zum heiligen Tisch führen, wo Pater Antonio Isabel ihnen das Aschenkreuz auf die Stirn malte. Als der Jüngste sich schließlich zu Hause die Stirn säubern wollte, entdeckte er, daß sein Zeichen wie das der Brüder unauslöschlich war. Sie versuchten es mit Wasser und Seife, dann mit Erde und
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