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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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dachte an sie, wenn sie sich die welken Brüste und den abgezehrten Bauch seifte, wenn sie die weißen Unterröcke und Rüschenmieder des Alters anzog, wenn sie die schwarze, schreckliche Bußbinde wechselte. Immer, zu jeder Stunde, ob schlafend oder wach, in erhabensten und niedrigsten Augenblicken, dachte Amaranta an Rebeca, denn die Einsamkeit hatte ihre Erinnerungen ausgesondert, und zwar die betäubenden Haufen sehnsüchtigen Kehrichts, den das Leben in ihrem Herzen angehäuft hatte, verbannt, dafür aber die anderen, die bitteren geläutert, vergrößert und verewigt. Durch sie wußte Remedios die Schöne von Rebecas Dasein. Jedesmal, wenn sie durch das baufällige Haus schritten, erzählte sie ihr eine widerwärtige Begebenheit, eine schimpfliche Anekdote und erreichte damit, daß ihre Nichte ihren nagenden Groll teilte, daß dieser dadurch ihren Tod überholte, doch sie erreichte nicht ihr Ziel, weil Remedios gegen jede Art leidenschaftlicher Empfindung, zumal gegen die anderer, gewappnet war. Ursula dagegen, die eine Amaranta entgegengesetzte Entwicklung durchgemacht hatte, rief sich Rebeca mit einer von jeder Unreinheit befreiten Erinnerung wach, doch das Bild des bedauernswerten Geschöpfs, das in Begleitung des Rupfensacks mit den Gebeinen ihrer Eltern ins Haus gekommen war, behielt die Oberhand über die Kränkung, die sie unwürdig machte, dem Familienstamm verbunden zu bleiben. Aureliano Segundo entschied, sie müsse ins Haus aufgenommen und beschützt werden, doch sein guter Vorsatz zerschellte an Rebecas Unversöhnlichkeit, die viele Jahre des Leidens und Elends gebraucht hatte, um sich die Vorrechte der Einsamkeit zu erobern, und daher nicht bereit war, sie gegen ein vom falschen Zauber der Barmherzigkeit gestörtes Alter aufzugeben.
    Im Februar, als die noch immer mit dem Aschenkreuz gezeichneten sechzehn Söhne des Obersten Aureliano Buendía wiederkehrten, erzählte Aureliano Triste ihnen im Festtrubel von Rebeca, und im Verlauf eines halben Tages stellten diese das alte Aussehen des Hauses wieder her; sie wechselten Türen und Fenster aus, strichen die Fassade mit fröhlichen Farben, verstärkten die Mauern und legten einen neuen Zementboden; zu einer Ausbesserung des Innern erhielten sie jedoch nicht die Erlaubnis. Rebeca zeigte sich nicht einmal an der Tür. Sie wartete, bis die unbesonnenen Ausbesserungen beendet waren; dann überschlug sie die Kosten der Reparatur und schickte ihnen durch Argénida, die alte, nach wie vor bei ihr lebende Dienerin, eine Handvoll seit dem letzten Krieg aus dem Umlauf gezogene Münzen, die Rebeca noch für gängig hielt. Erst jetzt stellte sich heraus, wie unfaßbar sie sich der Welt entfremdet hatte, und man begriff, daß es unmöglich sein würde, sie aus ihrem verbissenen Einsiedlerleben zu reißen, solange noch ein Funke Leben in ihr war.
    Beim zweiten Besuch, den die Söhne des Obersten Aureliano Buendía Macondo abstatteten, blieb ein zweiter da, Aureliano Centeno, um mit Aureliano Triste zusammenzuarbeiten. Er war einer der ersten, die ins Haus ihrer Taufe zurückkehrten, und Ursula und Amaranta erinnerten sich seiner sehr wohl, weil er in wenigen Stunden jedweden Gegenstand zertrümmert hatte, der ihm in die Finger geraten war. Die Zeit hatte seine frühere Wachswut gemildert; nun war er ein mittelgroßer, blatternarbiger Mann, doch seine überwältigende Zerstörungswut war ungebrochen. So zertrümmerte er so viele Teller, ohne sie zu berühren, daß Fernanda beschloß, Zinngeschirr für ihn zu kaufen, bevor er die letzten Stücke ihres kostbaren Porzellans zerschmeißen konnte, und auch ihre widerstandsfähigen Metallteller waren in kurzer Zeit verbeult und verbogen. Doch zum Ausgleich für seine unwiderstehliche, ihn selbst verbitternde Besessenheit war er von einer Herzlichkeit, die sofortiges Vertrauen auslöste, sowie von ungeahnter Arbeitskraft. In kurzer Zeit nahm die Herstellung von Eis dergestalt zu, daß der Ortsmarkt überschwemmt wurde, so daß Aureliano Triste daran denken mußte, den Absatz auf weitere Moordörfer auszudehnen. Damit tat er den entscheidenden Schritt nicht nur zur Modernisierung seiner Industrie, sondern auch zur Verknüpfung des Dorfes mit der übrigen Welt.
    »Wir brauchen eine Eisenbahnlinie«, sagte er.
    Zum ersten Male wurde dieses Wort in Macondo gehört. Angesichts des Entwurfs, den Aureliano Triste auf den Tisch zeichnete und der ein unmittelbarer Nachfahre der Aufrisse war, mit denen José Arcadio Buendía den

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