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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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sie.
    Remedios die Schöne, die das Laken am anderen Ende hielt, lächelte mitleidig.
    »Im Gegenteil«, sagte sie. »Ich habe mich nie wohler gefühlt.«
    Kaum hatte sie gesprochen, als Fernanda spürte, wie ein leichter lichter Lufthauch ihr die Laken entriß und diese vollständig ausbreitete. Amaranta fühlte ein geheimnisvolles Zittern im Spitzensaum ihrer Röcke und wollte sich am Laken festklammern, um nicht zu fallen, genau in dem Augenblick, als Remedios die Schöne aufzufahren begann. Die fast völlig erblindete Ursula war die einzige, die genug Ruhe bewahrte, um die Natur dieses unvermeidlichen Windzugs zu erkennen; sie überließ die Laken der Laune des Lichts und blickte zu Remedios der Schönen auf, die ihr ein Lebewohl zuwinkte inmitten des Flatterns der Laken, die mit ihr aufstiegen, die mit ihr die Luft der Käfer und Dahlien verließen und mit ihr durch die Luft flogen, wo es kein Vier-Uhr-Nachmittags mehr gab und wo sie sich mit ihr für immer in den höchsten Sphären verloren, wo nicht einmal die höchsten Vögel der Erinnerung sie einholen konnten.
    Natürlich dachten die Fremden, Remedios die Schöne sei schließlich ihrem unwiderruflichen Schicksal der Bienenkönigin erlegen und ihre Familie versuche, ihre Ehre nun mit dem Schwindel der Levitation zu retten. Die neidzerfressene Fernanda nahm schließlich das Wunder hin und betete lange Zeit zu Gott, er möge ihr die Laken zurückgeben. Die Mehrheit glaubte an das Wunder, und man zündete sogar Kerzen an und betete Rosenkränze. Vielleicht wäre lange Zeit nicht viel anderes gesprochen worden, hätte die barbarische Ausrottung der Aurelianos die Verwunderung nicht durch das Entsetzen abgelöst. Wenngleich Oberst Aureliano Buendía das Geschehene nicht als Vorahnung wertete, so hatte er das tragische Ende seiner Söhne doch in gewisser Weise vorausgesehen. Als Aureliano Serrador und Aureliano Arcaya, die beiden, die inmitten des Aufruhrs ankamen, ihren Wunsch bekundeten, in Macondo zu bleiben, suchte ihr Vater sie umzustimmen. Er verstand nicht, was sie in einem Dorf anstellen wollten, das von einem Tag zum anderen zu einem Ort der Gefahr geworden war. Doch Aureliano Centeno und Aureliano Triste boten ihnen mit Aureliano Segundos Unterstützung Arbeit in ihren Unternehmen an. Oberst Aureliano Buendía hatte noch ziemlich wirre Gründe, diesen Entschluß nicht zu fördern. Seitdem er Señor Brown in dem ersten nach Macondo gelangten Automobil gesehen hatte — ein orangefarbenes Kabriolett mit einem Horn, das mit seinem Gebell die Hunde verscheuchte —, empörte der alte Krieger sich über die unterwürfigen Zurufe der Leute, und es wurde ihm klar, daß die Eigenart der Männer sich geändert hatte, seit sie Frauen und Kinder verließen und mit einer Flinte über der Schulter in den Krieg zogen. Seit dem Waffenstillstand von Neerlandia bestanden die örtlichen Machthaber aus Bürgermeistern ohne Tatkraft, aus dekorativen Richtern, die man unter den friedlichen, müden Konservativen Macondos auswählte. »Das ist ein Regime armer Teufel«, bemerkte Oberst Aureliano Buendía, als er die barfüßigen, knüppelbewaffneten Polizisten vorbeipatrouillieren sah. »Wir haben so viele Kriege geführt, und nur, damit man uns nicht das Haus blau anpinselt.« Als die Bananengesellschaft kam, wurden freilich die örtlichen Beamten durch machtbewußte Ausländer ersetzt, die Señor Brown in dem elektrisch geladenen Hühnerstall unterbrachte, damit sie — wie er erklärte — eine Würde genössen, die ihrem Amt zukam und nicht unter Hitze und Mücken und den ungezählten Unbequemlichkeiten und Entbehrungen des Dorfes zu leiden hätten. Die früheren Polizisten wurden von buschmessertragenden Totschlägern abgelöst. In seiner Werkstatt eingeschlossen, dachte Oberst Aureliano Buendía über diese Veränderungen nach, und zum erstenmal in seinen wortkargen Jahren der Einsamkeit quälte ihn die entschiedene Gewißheit, daß es ein Irrtum gewesen war, den Krieg nicht bis zu seinen letzten Konsequenzen fortzusetzen. In jenen Tagen führte ein Bruder des vergessenen Oberst Magnifico Visbai seinen siebenjährigen Enkel zu einem der Limonadekarren auf dem Platz, und dafür, daß das Kind versehentlich gegen einen Polizeifeldwebel stieß und seine Limonade über dessen Uniform schüttete, hieb der Barbar ihn zu Hackfleisch und schlug dem Großvater, der ihm in den Arm fiel, mit einem Schlag den Kopf ab. Das ganze Dorf sah den Enthaupteten, den eine Gruppe von Männern

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