Hundert Jahre Einsamkeit
Förmlichkeiten hinwegsetzte, desto betörender wurde ihre unglaubliche Schönheit, desto herausfordernder wirkte ihr Verhalten auf die Männer. Als die Söhne des Obersten Aureliano Buendía zum erstenmal in Macondo weilten, erinnerte sich Ursula daran, daß in deren Adern das gleiche Blut floß wie in denen ihrer Urenkelin, und sie erbebte von vergessenen Schrecken. »Halte die Augen offen«, warnte sie. »Mit jedem von ihnen bekommst du Kinder mit Schweineschwänzen.« Sie aber machte sich so wenig aus der Warnung, daß sie sich als Mann verkleidete und sich im Sand wälzte, um den Klettermast zu erklimmen, und unter den durch das unerträgliche Schauspiel völlig durchgedrehten siebzehn Vettern fast eine Tragödie anstiftete. Daher schlief keiner von ihnen, wenn sie das Dorf besuchten, im Haus, und die vier Dagebliebenen wohnten auf Ursulas Geheiß in Mietzimmern. Remedios die Schöne, hätte sie von jener Vorsichtsmaßnahme gewußt, wäre vor Lachen gestorben. Bis zum letzten Augenblick ihres Erdenlebens wußte sie nicht, daß ihr unrettbares Schicksal eines betörenden Weibchens ein tägliches Verhängnis war. Jedesmal, wenn sie, Ursulas Anweisungen zuwiderhandelnd, im Speisezimmer erschien, löste sie eine verzweifelte Panik unter den Fremden aus. Es war allzu offensichtlich, daß sie unter dem rohen Nachthemd nackt war, und niemand konnte begreifen, daß ihr rasierter, formvollendeter Schädel keine Herausforderung war und daß ihre Unbekümmertheit, mit der sie ihre Schenkel entblößte, um sich bei der Hitze Luft zu machen, und das Vergnügen, mit dem sie nach dem Essen mit den Händen sich die Finger ableckte, keine verbrecherische Aufreizung war. Kein Familienmitglied erfuhr jemals, was die Ausländer sehr bald bemerkten: daß Remedios die Schöne einen verwirrenden Atem verströmte, einen quälenden Hauch, der noch mehrere Stunden nach ihrem Auftreten im Räume schwebte. In Liebeshändeln erfahrene weltgewandte Männer behaupteten, nie ein ähnliches Begehren verspürt zu haben wie jenes, das der natürliche Hautgeruch der schönen Remedios hervorrief. In der Begonienveranda, im Besuchssalon, in irgendeinem Winkel des Hauses ließ sich der genaue Punkt angeben, an dem sie gewesen war, sowie die mittlerweile verflossene Zeit. Es war eine bestimmte, unverwechselbare Fährte, die zwar kein Hausinsasse zu unterscheiden wußte, weil sie seit langem zu den täglichen Gerüchen gehörte, die jedoch jeder Fremde auf der Stelle erkannte. Daher verstanden sie als einzige, daß der junge Wachkommandant aus Liebe gestorben und daß ein aus anderen Ländern zugereister Kavalier der Verzweiflung anheimgefallen war. Nichts ahnend von der beunruhigenden Luft, in der sie sich bewegte, von dem unerträglichen Zustand innerer Verhängnisse, die sie auf Schritt und Tritt auslöste, trat Remedios die Schöne den Männern ohne jeden Hintergedanken entgegen und verdrehte ihnen den Kopf mit ihrer unschuldigen Gefälligkeit. Als Ursula endlich die Anweisung durchsetzte, sie solle mit Amaranta in der Küche essen, damit die Fremden sie nicht sähen, fühlte sie sich sogleich behaglicher, weil sie sich endlich von jeder Disziplin befreit sah. In Wirklichkeit war es ihr gleichgültig, wo sie aß, und so aß sie auch nicht mehr zu bestimmten Stunden, sondern nach den Launen ihres Appetits. Manchmal stand sie um drei Uhr morgens auf, um zu Mittag zu essen, schlief den ganzen Tag und hielt sich mehrere Monate an einen auf den Kopf gestellten Stundenplan, bis irgendein Zufall ihn wieder zurechtrückte. Liefen die Dinge günstiger, stand sie um elf Uhr vormittags auf, schloß sich bis um zwei Uhr splitternackt im Bad ein und erlegte Skorpione, während sie ihren festen, langen Schlaf abschüttelte. Dann besprühte sie sich mittels einer Kalebasse aus einem Brunnen. Das war ein so ausgedehnter, so eingehender, zeremonienreicher Akt, daß, wer sie nicht kannte, hätte meinen mögen, sie sei in eine wohlverdiente Anbetung ihres eigenen Körpers vertieft. Doch für sie entbehrte dieser einsame Ritus jeder Sinnlichkeit, und es war lediglich eine Art, die Zeit totzuschlagen, bis sie Hunger bekam. Eines Tages, als sie zu baden begann, hob ein Fremder einen Dachziegel hoch, und schon stockte ihm bei dem Schauspiel ihrer Nacktheit der Atem. Sie sah die fassungslosen Augen durch die zerbrochenen Ziegel hindurch und zeigte nicht etwa Scham, sondern Bestürzung.
»Vorsicht«, rief sie. »Sonst fallen Sie herunter.«
»Ich will Sie nur sehen«,
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