Hundert Jahre Einsamkeit
nach Hause trug, sah den Kopf, den eine Frau am Haar nachschleppte, sah den bluttriefenden Sack, in den sie die Stücke des Knaben gepackt hatten.
Das war für Oberst Aureliano Buendía das Höchstmaß an Buße. Plötzlich empfand er schmerzlich die gleiche Empörung, die er in seiner Jugend empfunden hatte angesichts des Leichnams jener Frau, die mit Stockschlägen getötet worden war, weil ein tollwütiger Hund sie gebissen hatte. Er blickte die Gruppen Neugieriger an, die vor dem Haus herumlungerten, und mit seiner alten, von tiefem Selbsthaß wiederhergestellten Stentorstimme lud er seinen ganzen Haß, den er nicht mehr im Herzen ertragen konnte, gegen sie ab.
»Eines Tages«, schrie er, »werde ich meine jungen Leute bewaffnen, damit sie mit diesen Scheißgrünhörnern aufräumen!«
Im Verlauf jener Woche wurden seine siebzehn Söhne an verschiedenen Orten der Küste wie Hasen von unsichtbaren Verbrechern gejagt, die auf die Mitte ihrer Aschenkreuze zielten. Aureliano Triste verließ das Haus seiner Mutter um sieben Uhr abends, als ein Gewehrschuß aus der Dunkelheit seine Stirn durchbohrte. Aureliano Centeno wurde in der Hängematte, die er immer in der Fabrik aufspannte, aufgefunden, einen Eisstichel bis zum Griff zwischen den Brauen. Aureliano Serrador hatte seine Verlobte nach einem Kinobesuch ins Haus ihrer Eltern zurückbegleitet und befand sich in der erleuchteten Türkengasse auf dem Rückweg, als jemand, der nie erkannt wurde, aus der Menge einen Revolverschuß auf ihn abgab, der ihn in einen Kessel mit kochender Butter niederstreckte. Einige Minuten später klopfte jemand an der Tür des Zimmers, in das sich Aureliano Arcaya mit einer Frau eingeschlossen hatte, und schrie: »Eil dich, sie morden deine Brüder.« Die Frau, die bei ihm war, erzählte später, Aureliano Arcaya sei aus dem Bett gesprungen, habe die Tür aufgerissen und sei von der Salve einer Mauser begrüßt worden, die ihm das Gehirn zerfetzt habe. In jener Todesnacht, während das Haus sich zur Totenwache bei den vier Leichnamen vorbereitete, lief Fernanda wie eine Wahnsinnige durchs Dorf auf der Suche nach Aureliano Segundo, den Petra Cotes in einem Kleiderschrank eingeschlossen hatte in dem Glauben, der Ausrottungsbefehl betreffe alle, die den Namen des Obersten trugen. Sie ließ ihn erst am vierten Tag frei, als die von verschiedenen Küstenorten eingelaufenen Telegramme zu verstehen gaben, die Raserei des unsichtbaren Feindes sei nur gegen die mit einem Aschenkreuz gezeichneten Brüder gerichtet. Amaranta suchte das Rechenbüchlein, in dem sie die Daten der Neffen notiert hatte, und strich nach dem Eingang der Telegramme die Namen aus, bis nur der des ältesten übrig war. Man erinnerte sich seiner sehr gut wegen des Gegensatzes zwischen seiner dunklen Haut und den großen grünen Augen. Er hieß Aureliano Amador, war Zimmermann und wohnte in einem am Fuß der Sierra versteckten Dorf. Nachdem Aureliano Segundo zwei Wochen auf ein Telegramm mit seiner Todesnachricht gewartet hatte, schickte Aureliano Segundo ihm einen Warnboten in der Annahme, er ahne nichts von der über seinem Kopf schwebenden Drohung. Der Bote kehrte mit der Nachricht zurück, Aureliano Amador sei in Sicherheit. In der Nacht der Ausrottung hätten zwei Männer ihn in seinem Haus gesucht und ihre Revolver auf ihn abgeschossen, sein Aschenkreuz jedoch verfehlt. Aureliano Amador habe die Mauer des Innenhofs überspringen und sich ins Labyrinth der Sierra retten können, die er dank der mit ihm befreundeten Indios, mit denen er Holzhandel trieb, Handbreit für Handbreit kannte. Seither habe man nichts mehr von ihm gehört.
Das waren schwarze Tage für Oberst Aureliano Buendía. Der Präsident der Republik richtete ein Beileidstelegramm an ihn, in dem er eine eingehende Untersuchung versprach, und ließ die Toten ehren. Auf seinen Befehl fand sich der Bürgermeister bei der Beerdigung mit vier Trauerkränzen ein, die er im Haus auf den Särgen niederlegen wollte, doch der Oberst warf ihn auf die Straße. Nach der Beerdigung setzte er ein unverschämtes Telegramm an den Präsidenten der Republik auf und gab es persönlich beim Telegrafisten ab, der sich indes weigerte, es abzuschicken. Infolgedessen schmückte er es mit äußerst beleidigenden Ausdrücken aus, steckte es in einen Umschlag und gab es bei der Post auf. Wie es ihm beim Tod seiner Frau, wie es ihm so viele Male während des Krieges beim Tod seiner besten Freunde ergangen war, verspürte er kein Gefühl
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