Hundert Jahre Einsamkeit
murmelte der Fremde.
»Ah, gut«, sagte sie. »Aber geben Sie Obacht, die Dachziegel sind brüchig.«
Das Gesicht des Fremden zeigte schmerzliche Betäubung, er schien dumpf gegen seinen primitiven Trieb anzukämpfen, um die Fata Morgana nicht zu zerstören. Remedios die Schöne dachte, er habe Angst, die Dachplatten könnten brechen, und badete rascher als gewöhnlich, damit der Mann nicht länger in Gefahr schwebte. Während sie sich also mit Wasser aus dem Brunnen besprengte, sagte sie, es sei eine Not mit dem schadhaften Dach, denn sie glaube, die vom Regen angefaulte Blätterschicht sei schuld daran, daß das Bad von Skorpionen wimmle. Der Fremde hielt dieses Geschwätz für einen Vorwand ihrerseits, ihre Willfährigkeit zu tarnen, so daß er der Versuchung zu einem weiteren Schritt nicht widerstehen konnte, als sie sich einzuseifen begann.
»Lassen Sie mich Sie einseifen«, murmelte er.
»Ich danke Ihnen für Ihr freundliches Angebot«, sagte sie. »Aber ich komme mit meinen zwei Händen aus.«
»Und wenn es nur der Rücken ist«, flehte der Fremde.
»Das wäre wirklich vergeudete Zeit«, sagte sie. »Ich habe nie gehört, daß die Leute sich gegenseitig den Rücken einseifen.«
Nachher, während sie sich abtrocknete, bat der Fremde mit tränenblinden Augen darum, daß sie ihn heirate. Sie erwiderte grundaufrichtig, sie werde nie einen so einfältigen Mann heiraten, der fast eine Stunde verliere und dabei noch sein Mittagessen verpasse, nur um eine Frau baden zu sehen. Schließlich, als sie in ihre Soutane schlüpfte, konnte der Mann die Feststellung, daß sie tatsächlich nichts darunter trage, wie alle Welt vermutete, nicht länger ertragen und fühlte sich für immer vom glühenden Eisen jenes Geheimnisses geprägt. Nun löste er zwei weitere Ziegel, um sich in das Bad hinunterzulassen.
»Es ist sehr hoch«, warnte sie ihn erschrocken. »Sie werden sich den Hals brechen.«
Die modrigen Dachplatten gingen unter Donnergetöse in Stücke, der Mann konnte nur noch einen Schreckensschrei ausstoßen, brach sich das Genick und starb schmerzlos auf dem Zementboden. Die Fremden, die im Speisezimmer den Lärm hörten und eilends den Leichnam holten, spürten auf seiner Haut den beklemmenden Geruch Remedios der Schönen. Er war dergestalt in seinen Körper übergegangen, daß die Ritzen des Gehirns kein Blut verströmten, sondern ein von jenem geheimen Duft getränktes Amberöl, und nun verstanden sie, daß der Geruch der schönen Remedios die Männer über den Tod hinaus, ja noch den Staub ihrer Gebeine quälte. Im übrigen brachten sie den grauenhaften Unfall nicht mit den anderen beiden Männern in Verbindung, die wegen Remedios der Schönen gestorben waren. Noch fehlte ein Opfer, damit die Fremden und viele von Macondos alten Einwohnern der Legende Glauben schenkten, Remedios Buendía verströme keinen Liebesatem, sondern Todeshauch. Die Gelegenheit, dies zu erproben, ergab sich Monate später, an einem Nachmittag, als Remedios die Schöne mit einer Gruppe von Freundinnen die jüngsten Pflanzungen besichtigte. Für die Leute von Macondo war es eine neue Belustigung, die feuchten, endlosen, bananenstaudengesäumten Alleen zu durchwandern, wo die Stille von anderswoher zu stammen schien, noch unverbraucht und daher so schwer mit der Stimme zu durchdringen. Mitunter verstand man die Worte des anderen kaum auf einen halben Meter Entfernung, während man das am Ende der Pflanzung Gesprochene deutlich wahrnahm. Für die jungen Mädchen Macondos war das neuartige Spiel Anlaß zu Gelächter und Verblüffung, Erschrockenheit und Spott, und abends sprach man von dem Spaziergang wie von einer Traumerfahrung. So groß war der Ruf dieser Stille, daß Ursula nicht das Herz hatte, Remedios die Schöne um diese Kurzweil zu bringen, und ihr daher eines Nachmittags den Besuch erlaubte, falls sie einen Hut aufsetze und das passende Kleid anziehe. Sobald die Gruppe junger Mädchen die Pflanzung betrat, tränkte sich die Luft mit Todesduft. Die Männer, die in den Furchen arbeiteten, fühlten sich von seltener Verzauberung heimgesucht, von einer unsichtbaren Gefahr bedroht, und manch einer verfiel unwiderstehlichen Weinkrämpfen. Remedios die Schöne und ihre verstörten Freundinnen konnten noch gerade in ein benachbartes Haus flüchten, als sie fast von einem Trupp wütender Mannsbilder angefallen wurden. Kurz darauf wurden sie von den vier Aurelianos gerettet, deren Aschenkreuze einen heiligen Schauder einflößten, als
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