Hundert Jahre Einsamkeit
schlechtverborgenes, knauseriges Herz beleidigte, dafür aber in Aureliano Segundo einen Schirmherrn fand. Er war es, der beschloß, sie aus der Schlafkammer, die sie seit ihrer Kindheit bewohnte, zu befreien, wo die wilden Augen der Heiligen noch immer die Schrecknisse ihrer Jugend nährten, und richtete ihr ein Zimmer mit einem Thronbett, einem üppigen Frisiertisch und Samtvorhängen ein, ohne zu merken, daß er ihr damit einen Abklatsch von Petra Cotes' Schlafgemach möblierte. Er war so freigebig gegen Meme, daß er nicht wußte, wieviel Geld er ihr gab, weil sie es ihm selbst aus der Tasche zog, und hielt sie auf dem laufenden über alle neuen Schönheitsmittel, die in den Kommissariaten der Bananengesellschaft eintrafen. Memes Zimmer füllte sich mit Bimssteinkissen zum Polieren der Fingernägel, mit Lockenkräuslern, Zahnglanzmitteln, mit Augentropfen für einen verschleierten Blick und ungezählten neuen Kosmetika und Verschönerungssalben, so daß Fernanda sich bei dem Gedanken empörte, der Toilettentisch ihrer Tochter könne kaum anders aussehen als der einer französischen Matrone. Im übrigen teilte Fernanda damals ihre Zeit zwischen der kleinen Amaranta Ursula, einem launischen, kränklichen Kind, und einem aufregenden Briefwechsel mit den unsichtbaren Ärzten. Als sie daher die Komplicität von Vater und Tochter entdeckte, rang sie Aureliano Segundo ein einziges Versprechen ab: sie nie in Petra Cotes' Haus mitzunehmen. Die Warnung war sinnlos, denn die Konkubine war über die Kameradschaft ihres Geliebten mit seiner Tochter so erbost, daß sie ohnehin nichts von ihr wissen wollte. Petra Cotes quälte eine bislang unbekannte Angst, als fühle sie instinktiv, Meme brauche nur zu wünschen, um zu erreichen, was Fernanda nie erreicht hatte: sie einer Liebe zu berauben, deren sie bis zu ihrem Tode sicher zu sein glaubte. Zum erstenmal mußte Aureliano Segundo die Übellaunigkeit und den wütenden Spott seiner Konkubine ertragen und sogar befürchten, daß seine bereits einmal hin- und herbeförderten Truhen den Rückweg ins Haus der Ehefrau antreten müßten. Doch soweit kam es nicht. Keine Frau kannte einen Mann besser als Petra Cotes ihren Geliebten, und sie wußte daher, daß die Truhen dableiben würden, wo sie waren, denn wenn Aureliano Segundo etwas haßte, so die Sucht, sich das Leben durch Verbesserungen und Veränderungen zu erschweren. So blieben denn die Truhen, wo sie waren, und Petra Cotes machte sich daran, den Ehemann wiederzuerobern, wobei sie die einzigen Waffen zückte, mit denen seine Tochter nicht um ihn kämpfen konnte. Auch das war eine unnötige Anstrengung, da Meme nie beabsichtigt hatte, sich in ihres Vaters Angelegenheiten zu mischen, und wenn, dann hätte sie es zugunsten der Konkubine getan. Sie hatte auch nicht genug Zeit, um jemanden zu belästigen. Sie selbst fegte ihr Zimmer und machte ihr Bett, wie die Nonnen es sie gelehrt hatten. Morgens besorgte sie ihre Kleider, stickte in der Veranda oder nähte auf Amarantas alter handbetriebener Nähmaschine. Während die anderen ihre Mittagsruhe abhielten, übte sie zwei Stunden auf dem Klavichord, wohl wissend, daß das tägliche Opfer ihr Fernanda vom Leibe hielt. Aus dem gleichen Grund veranstaltete sie Konzerte bei Kirchenbasaren und Schulabenden, wenngleich sie immer seltener dazu aufgefordert wurde. Gegen Abend machte sie sich fertig, zog eines ihrer schlichten Kleider und ihre derben Schnürschuhe an, und wenn sie keine Verabredung mit ihrem Vater hatte, ging sie zu Freundinnen, wo sie bis zum Abendessen blieb. Nur ausnahmsweise holte Aureliano Segundo sie nicht ins Kino ab.
Unter Memes Freundinnen waren drei junge Nordamerikanerinnen, die den Kreis des elektrisch geladenen Hühnerstalls durchbrochen und Freundschaften mit Macondos jungen Mädchen geschlossen hatten. Eine von ihnen war Patricia Brown. Dankbar über Aureliano Segundos Gastlichkeit, öffnete Señor Brown Meme die Türen seines Hauses und lud sie zu seinen Samstagstanzereien ein, die einzigen, zu denen die Grünhörner Einheimische zuließen. Als Fernanda dies erfuhr, vergaß sie einen Augenblick lang Amaranta Ursula und die unsichtbaren Ärzte und führte ein ausgewachsenes Melodrama auf. »Stell dir vor«, sagte sie zu Meme, »was der Oberst in seinem Grab denken wird.« Natürlich suchte sie Ursulas Unterstützung. Doch die blinde Greisin fand wider alles Erwarten, dagegen sei nichts einzuwenden, daß Meme an diesen Bällen teilnehme und die Freundschaft
Weitere Kostenlose Bücher