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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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gleichaltriger amerikanischer junger Mädchen pflege, solange sie in ihren Auffassungen fest bleibe und sich nicht zur protestantischen Religion bekehren lasse. Meme begriff sehr genau die Gedanken der Urgroßmutter und stand am Tag nach dem Ball früher als gewöhnlich auf, um in die Messe zu gehen. Fernandas Widerstand hielt bis zu dem Tag an, als Meme sie mit der Nachricht entwaffnete, die Nordamerikaner wünschten sie auf dem Klavichord zu hören. Wieder einmal wurde das Instrument aus dem Hause geholt und in Señor Browns befördert, wo die junge Konzertistin in der Tat aufrichtigsten Beifall und die begeistertsten Glückwünsche erntete. Seither wurde sie nicht nur zu den Bällen, sondern auch zum sonntäglichen Baden im Schwimmbecken sowie einmal in der Woche zum Mittagessen eingeladen. Meme lernte wie eine Wettschwimmerin schwimmen, Tennis spielen und Virginia-Schinken mit Ananasscheiben essen. Zwischen Tanzen, Baden und Tennisspielen lernte sie auch auf englisch radebrechen. Aureliano Segundo begeisterte sich so sehr über die Fortschritte seiner Tochter, daß er bei einem Handlungsreisenden eine englische Enzyklopädie in sechs reichbebilderten Bänden erstand, die Meme in ihren Mußestunden las. Nun nahm die Lektüre ihre Aufmerksamkeit, die sie bislang verliebtem Geschwätz und Experimentiersitzungen mit ihren Freundinnen gewidmet hatte, in Anspruch, doch nicht, weil sie sich das Lesen als Disziplin auferlegt hätte, sondern weil sie allen Gefallen daran verloren hatte, über altbekannte Geheimnisse zu tratschen. Dabei erinnerte sie sich an jenes Besäufnis wie an ein kindisches Abenteuer, das ihr so komisch vorkam, daß sie es Aureliano Segundo erzählte, dem es dann noch komischer vorkam als ihr. »Wenn das deine Mutter wüßte«, sagte er prustend vor Lachen, wie er es immer tat, wenn sie ihm etwas anvertraute. Er hatte ihr auch das Versprechen abgenommen, ihn mit dem gleichen Zutrauen in ihre erste Liebschaft einzuweihen, und Meme erzählte ihm, ein nordamerikanischer Rotschopf, der seine Ferien im Elternhaus verbrachte, habe es ihr angetan. »Wie entsetzlich«, lachte Aureliano Segundo. »Wenn das deine Mutter wüßte!« Doch Meme erzählte ihm auch, dieser sei wieder in sein Land zurückgekehrt und habe seitdem nichts von sich hören lassen. Ihre reife Urteilskraft gewährleistete den häuslichen Frieden. Nun widmete Aureliano Segundo Petra Cotes mehr von seiner Zeit, und wenn auch Leib und Seele nicht mehr wie früher nach Ausschweifungen verlangten, verlor er keine Gelegenheit, diesen nachzugehen und das Akkordeon auszugraben, von dem einige Tasten bereits mit Schnürsenkeln befestigt waren. Im Haus stickte Amaranta an ihrem endlosen Totenhemd, und Ursula ließ sich von ihrer Hinfälligkeit in die Tiefe der Finsternis ziehen, wo für sie nur noch José Arcadio Buendías Gespenst unter dem Kastanienbaum sichtbar war. Fernanda festigte ihre Autorität. Die monatlichen Briefe an ihren Sohn José Arcadio enthielten keine Zeile der Lüge mehr, und sie verschwieg ihm darin nur ihren Briefwechsel mit den unsichtbaren Ärzten, die ein gutwilliges Geschwür in ihrem Dickdarm diagnostiziert hatten und dabei waren, an ihr einen telepathischen Eingriff vorzunehmen.
    Man hätte meinen mögen, nun sei für lange Zeit ein ungestörter Friede und Glückszustand ins Haus eingekehrt, doch Amarantas unzeitgemäßer Tod verursachte ein neues Ärgernis. Es war ein unerwartetes Ereignis. Zwar hatte sie infolge ihres hohen Alters für sich gelebt, doch dank ihrer altbekannten eisernen Gesundheit noch immer kräftig und rüstig ausgesehen. Niemand kannte ihre Gedanken mehr seit dem Nachmittag, da sie Oberst Gerineldo Márquez endgültig den Laufpaß gegeben und sich zum Heulen in ihre Kammer eingeschlossen hatte. Als sie wieder erschien, waren ihre Tränen getrocknet, man sah sie nicht bei Remedios' der Schönen Himmelfahrt weinen, nicht bei der Ausrottung der Aurelianos, auch nicht beim Tod von Oberst Aureliano Buendía, den sie von allen Menschen auf der Welt am meisten geliebt hatte, wenngleich sie es erst beweisen konnte, als sein Leichnam unter dem Stamm gefunden wurde. Sie half beim Aufheben des Leichnams, sie legte ihm seinen Kriegerschmuck an, rasierte ihn, kämmte ihn und pomadisierte seinen Schnauzbart besser, als er es in seinen Ruhmesjahren je fertiggebracht hatte. Niemand sah darin einen Akt der Liebe, weil jedermann an Amarantas Vertrautheit mit den Riten des Todes gewöhnt war. Fernanda empörte sich

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