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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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ihr Schlafzimmer und stieß dort auf so viele Falter, daß ihr fast der Atem verging. Sie packte den ersten besten Stoffetzen, um sie zu verscheuchen, und ihr Herz wurde vor Schrecken zu Eis, als sie die abendlichen Bäder ihrer Tochter mit den auf dem Boden verstreuten Mostrichumschlägen in Zusammenhang brachte. Diesmal wartete sie nicht wie beim erstenmal eine günstige Gelegenheit ab. Am nächsten Tag lud sie den neuen Bürgermeister, der mit ihr vom Hochland gekommen war, zum Mittagessen ein und bat ihn, eine Nachtwache im Hinterhof aufzustellen, da sie den Eindruck habe, Hühnerdiebe trieben sich dort des Nachts herum. In jener Nacht streckte die Wache Mauricio Babilonia nieder, als er die Dachplatten hochhob, um ins Bad hinunterzusteigen, wo Meme ihn erwartete, nackt und liebeszitternd zwischen Skorpionen und Faltern, so wie sie es fast jeden Abend während der vergangenen Monate getan hatte. Ein im Rückgrat steckengebliebenes Geschoß warf ihn für den Rest seines Lebens aufs Siechenlager. Er starb alt und einsam, ohne eine Klage, ohne Aufbegehren, ohne seinem Geheimnis untreu zu werden, gefoltert von seinen Erinnerungen und den gelben Faltern, die ihm keinen Augenblick Frieden ließen, und öffentlich als Hühnerdieb gebrandmarkt.
     

 
     
     
     
     
     
    Die Ereignisse, die Macondo den Todesstoß versetzen sollten, begannen sich gerade abzuzeichnen, als Meme Buendías Sohn ins Haus gebracht wurde. Zu jener Zeit war die öffentliche Lage so ungewiß, daß niemand geneigt war, sich um Privatskandale zu kümmern, so daß Fernanda die günstige Atmosphäre nutzte, um das Kind zu verstecken, als hätte es nie existiert. Sie mußte es aufnehmen, weil die Umstände, unter denen man es ihr zugeführt hatte, eine Zurückweisung unmöglich machten. Wider Willen mußte sie es für den Rest ihres Lebens ertragen, weil ihr in der Stunde der Wahrheit der Mut fehlte, ihren geheimen Entschluß, es in der Zisterne zu ertränken, furchtlos auszuführen. So schloß sie es in Oberst Aureliano Buendías alter Werkstatt ein. Santa Sofía von der Frömmigkeit konnte sie weismachen, sie habe es in einem Körbchen schwimmend gefunden. Ursula sollte sterben, ohne seine Herkunft erfahren zu haben. Die kleine Amaranta Ursula, die einmal in die Werkstatt gelaufen kam, als Fernanda das Kind fütterte, glaubte gleichfalls an das schwimmende Körbchen. Aureliano Segundo, seiner Frau durch die widersinnige Art, mit der diese Memes Tragödie behandelte, endgültig entfremdet, erfuhr von der Existenz seines Enkels erst drei Jahre nach dessen Einzug ins Haus, als das Kind durch eine Achtlosigkeit Fernandas seinem Gefängnis entschlüpfte und für den Bruchteil einer Sekunde in der Veranda auftauchte, nackt, mit wirrem Haar und mit einem Geschlechtsteil wie ein Truthahnhals, als sei er kein Menschengeschöpf, sondern das enzyklopädische Abbild eines Menschenfressers.
    Fernanda hatte nicht mit dieser bösen Wendung ihres unabwendbaren Schicksals gerechnet. Das Kind war wie die Rückkehr einer Schande, die sie für immer aus dem Haus verbannt zu haben glaubte. Kaum hatte man Mauricio Babilonia mit seinem zersplitterten Rückgrat entfernt, als Fernanda bereits einen bis ins kleinste gehenden Plan ersann, um jede Spur der Schmach zu tilgen. Ohne ihren Gatten zu befragen, packte sie am nächsten Tag ihre Siebensachen, legte in ein Köfferchen drei Kleider und die entsprechende Wäsche, die ihre Tochter benötigen konnte, und holte sie eine halbe Stunde vor Ankunft des Zuges in ihrem Schlafzimmer ab.
    »Los, Renata«, sagte sie.
    Sie gab ihr keine Erklärung. Meme ihrerseits erwartete keine und wollte auch keine. Sie wußte nicht nur nicht, wohin es ging, es wäre ihr auch gleichgültig gewesen, wenn man sie zur Schlachtbank geführt hätte. Sie hatte nie wieder gesprochen, sie würde auch nie im Leben wieder sprechen, seit sie den Schuß im Hinterhof und den gleichzeitigen Schmerzensschrei Mauricio Babilonias gehört hatte. Als ihre Mutter ihr befahl, das Schlafzimmer zu verlassen, kämmte sie sich nicht und wusch sich auch nicht das Gesicht; wie eine Schlafwandlerin stieg sie in den Zug, ohne die ihr nachflatternden gelben Falter zu bemerken. Fernanda erfuhr nie und gab sich auch nicht die Mühe, herauszufinden, ob ihr steinernes Schweigen eine Willensentscheidung war oder ob das Verhängnis sie mit Stummheit geschlagen hatte. Meme wurde sich der Reise durch die alte verzauberte Landschaft kaum bewußt. Sie sah nicht die beschatteten,

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