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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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endlosen Bananenpflanzungen zu beiden Seiten des Schienenstrangs. Sie sah nicht die weißen Häuser der Grünhörner, nicht ihre von Staub und Hitze verdorrten Gärten, nicht die Frauen in kurzen Hosen und blaugestreiften Hemden, die unter den Arkaden Karten spielten. Sie sah nicht die mit Bananenbüscheln beladenen Ochsenkarren auf den staubbedeckten Wegen. Sie sah nicht die jungen Mädchen, die wie Alsen in die durchsichtigen Flüsse sprangen und in den Zugreisenden Verlangen nach ihren prachtvollen Brüsten weckten, sah nicht die buntgewürfelten armseligen Baracken der Arbeiter, in denen Mauricio Babilonias gelbe Falter flatterten, vor deren Türen grünliche, schmutzige Kinder auf ihren Töpfchen saßen, daneben schwangere Weiber, die dem Zug Schimpfwörter nachschrien. Dieser flüchtige Augenblick, der für sie bei der Heimfahrt vom Internat ein Fest gewesen war, riß ihr Herz nicht aus seiner Benommenheit. Sie blickte auch nicht aus dem Fenster, als die glühende Feuchtigkeit der Pflanzungen vorüber war und der Zug durch das klatschmohnbetupfte Tiefland fuhr, in dem noch immer das verkohlte Gerippe der spanischen Galeone ragte, und gelangte bald darauf in die gleiche durchsichtige Luft und an das gleiche schmutzig schäumende Meer, an dessen Gestade fast ein Jahrhundert vorher José Arcadio Buendías Illusionen zerschellt waren.
    Um fünf Uhr nachmittags, als man in die Endstation des Moors einfuhr, stieg sie auf Fernandas Geheiß aus. Sie bestiegen ein Gefährt, das einer riesigen Fledermaus glich, gezogen von einem kurzatmigen Gaul, und fuhren durch die verlassene Stadt, in deren endlosen, schwefelzerfurchten Straßen Klavierspiel widertönte, wie Fernanda es während der Mittagsruhe ihrer Jungmädchenzeit gehört hatte. Nun bestieg man einen Flußdampfer, dessen hölzernes Wasserrad einen Feuersbrunstlärm verursachte und dessen rostzerfressene Metallbeschläge wie ein Ofenrachen blinkten. Meme schloß sich in ihre Schlafkoje ein. Zweimal am Tag stellte Fernanda ihr einen Teller mit Essen neben ihr Bett, und zweimal am Tag holte sie ihn unangetastet wieder ab, nicht weil Meme etwa beschlossen hatte, Hungers zu sterben, sondern weil allein der Geruch von Nahrungsmitteln sie ekelte und ihr Magen sogar Wasser verweigerte. Damals wußte sie selbst nicht einmal, daß ihre Fruchtbarkeit der Senfdämpfe gespottet hatte, wie es Fernanda auch erst ein Jahr später erfuhr, als man ihr das Kind brachte. In der zum Ersticken heißen Kabine, völlig durchgedreht von der Erschütterung der Eisenwände und vom unerträglichen Schlammgeruch, den das Dampferrad aufwühlte, verlor Meme das Gefühl für den Ablauf der Tage. Viel Zeit war vergangen, als sie die letzten gelben Falter an den Flügeln des Ventilators zerschellen sah, und so fand sie sich mit Mauricio Babilonias Tod als einer unvermeidlichen Tatsache ab. Trotzdem gab sie nicht auf. Sie dachte auch an ihn während der beschwerlichen Reise auf Eselsrücken durch die blendende Hochwüste, in der sich einst Aureliano Segundo verirrt hatte, als er die schönste Frau suchte, die es auf Erden gab, und als er und die Seinen auf Indiopfaden die Kordillere erstiegen hatten und in die düstere Stadt eingezogen waren, deren gepflasterte Gäßchen vom bronzenen Todesgeläut von zweiunddreißig Kirchen widerhallten. In jener Nacht schliefen sie in dem verlassenen Herrenhaus aus der Kolonialzeit auf Dielenbrettern, die Fernanda auf den Boden eines gestrüppüberwucherten Zimmers breitete, eingewickelt in Vorhangfetzen, die sie von den Fenstern gerissen hatten und die bei jeder Körperbewegung zerfielen. Meme wußte, wo sie waren, denn im Grauen ihrer Schlaflosigkeit sah sie den schwarzgekleideten Herrn vorübergehen, der in einer fernen Weihnachtsnacht in einem Bleikoffer ins Haus gebracht worden war. Am nächsten Tag nach der Messe führte Fernanda sie zu einem freudlosen Gebäude, das Meme sofort aus den Bemerkungen erkannte, die ihre Mutter über das Kloster zu machen pflegte, in dem sie für das Amt einer Königin erzogen worden war, und nun begriff sie, daß sie ans Ende ihrer Reise gelangt waren. Während Fernanda im angrenzenden Arbeitszimmer mit jemandem sprach, wartete sie in einem mit großen Ölbildern von Erzbischöfen aus der Kolonialzeit geschmückten Wohnzimmer, vor Kälte zitternd, weil sie noch ein Voilekleid mit schwarzen Blümchen und die von der Kälte des Hochplateaus gedunsenen harten Halbstiefel trug. Sie stand in der Mitte des Salons und dachte in dem

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