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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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verwandelt worden war.
    José Arcadio achtete nicht darauf. Während das traurige Verhör des Schlangenmenschen vor sich ging, hatte er sich durch die Menge einen Weg bis zur ersten Reihe gebahnt, wo die Zigeunerin stand, und blieb hinter ihr stehen. Er drückte sich an ihren Rücken. Die junge Frau wollte sich losmachen, doch José Arcadio preßte sich stärker an sie. Nun fühlte sie ihn und blieb unbeweglich an ihn gelehnt stehen, zitternd vor Überraschung und Schrecken, ohne dem Augenschein glauben zu können, doch schließlich wandte sie den Kopf und blickte ihn unsicher lächelnd an. In diesem Augenblick trieben die beiden Zigeuner den Schlangenmenschen in seinen Käfig und zogen diesen ins Innere des Zeltes. Der Zigeuner, der das Schauspiel leitete, verkündete:
    »Und nun, meine Damen und Herrn, zeigen wir Ihnen das fürchterliche Kunststück der Frau, die einhundertfünfzig Jahre hindurch jede Nacht zu dieser Stunde enthauptet wird, als Strafe dafür, daß sie gesehen hat, was sie nicht sehen sollte.«
    José Arcadio und das junge Mädchen wohnten nicht der Enthauptung bei. Sie gingen in ihr Zelt, wo sie, während sie sich entkleideten, einander mit verzweifeltem Begehren küßten. Die Zigeunerin entledigte sich ihrer übereinandergezogenen Mieder, ihrer zahlreichen gestärkten Spitzenröcke, ihres unnützen drahtverstärkten Korsetts, ihrer Glasperlenlast und stand plötzlich da, gewissermaßen zu nichts verwandelt. Sie war ein froschartiges Geschöpfchen mit kaum sichtbaren Brüsten und spillerigen Beinchen, die nicht einmal den Durchmesser von José Arcadios Armen erreichten; dafür war sie von einer Entschlossenheit und Heißblütigkeit, die ihre Zerbrechlichkeit wettmachten. Im übrigen konnte José Arcadio nicht ihren Erwartungen entsprechen, weil sie sich in einer Art öffentlichem Zelt befanden, wo die Zigeuner sich mit ihren Zirkusgegenständen aufhielten, ihre Angelegenheiten regelten und sogar in der Nähe des Bettes stehenblieben, um ein Würfelspielchen einzulegen. Die am Mittelpfosten hängende Lampe erleuchtete den ganzen Raum. In einer Kosepause streckte José Arcadio sich nackt auf dem Bett aus, unschlüssig, was er tun sollte, während das hübsche Kind ihn zu ermutigen suchte. Kurz darauf trat eine üppig gewachsene Zigeunerin in Begleitung eines Mannes ein, der nicht zu den Komödianten, aber auch nicht zum Dorf gehörte, und schon begannen beide, sich vor dem Bett auszuziehen. Unbeabsichtigt blickte die Frau auf José Arcadio und musterte mit einer Art leidenschaftlichen Eifers sein prachtvolles, in Ruhe befindliches Tier.
    »Junger Mann«, rief sie aus, »möge Gott dir das bewahren.«
    José Arcadios Gefährtin bat die anderen, sie in Ruhe zu lassen, und das Paar legte sich in nächster Nähe des Betts auf den Erdboden nieder. Die Leidenschaft der beiden weckte José Arcadios Fieber. Bei der ersten Berührung schienen die Knochen des jungen Mädchens unregelmäßig zu rasseln wie ein Dominokästchen, ihre Haut schien sich in bleichen Schweiß aufzulösen, ihre Augen füllten sich mit Tränen, und ihr ganzer Körper verströmte einen düsteren Klagelaut und einen vagen Schlammgeruch. Doch sie ertrug den Anprall mit Charakterfestigkeit und bewunderungswürdiger Tapferkeit. Nun fühlte José Arcadio sich in einen Zustand seraphischer Erleuchtung erhoben, in dem sein Herz in einem Born zärtlicher Schamlosigkeiten zerfloß, die ins Ohr der jungen Frau glitten und, in ihre Sprache übersetzt, aus ihrem Munde tönten. Es war Donnerstag. Am Samstagabend band sich José Arcadio einen roten Fetzen um den Kopf und machte sich mit den Zigeunern auf den Weg.
    Als Ursula seine Abwesenheit entdeckte, suchte sie ihn im ganzen Dorf. Von dem abgebrochenen Zeltdorf der Zigeuner war nichts übrig als eine Abfallrinne zwischen der noch immer rauchenden Asche der erloschenen Feuerstellen. Jemand, der unter dem Unrat Glasperlen suchte, sagte Ursula, in der vergangenen Nacht habe er ihren Sohn im Trubel der Schmierenspieler gesehen, wie er einen Handkarren mit dem Käfig des Schlangenmenschen schob. »Er ist Zigeuner geworden!« schrie sie ihren Mann an, der angesichts seines verschwundenen Sohnes nicht die geringste Beunruhigung zur Schau stellte.
    »Hoffentlich ist es wahr«, sagte José Arcadio Buendía, während er in seinem Mörser den tausendmal gestampften, wieder erhitzten und von neuem zu stampfenden Stoff zerstampfte. »So lernt er, ein Mann zu werden.«
    Ursula fragte, wohin die Zigeuner gezogen

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