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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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seien. Sie fragte auf dem Weg, den man ihr gewiesen hatte, immer wieder und entfernte sich in dem Glauben, sie könne sie noch einholen, immer weiter von dem Dorf, bis sie einsah, daß sie schon so weit entfernt war, daß sie nicht mehr an Rückkehr denken konnte. José Arcadio Buendía entdeckte das Fehlen seiner Frau erst um acht Uhr abends, als er seinen Stoff, der in einem Dungbad schmorte, sich selbst überließ, und nun schaute er bei der kleinen Amaranta herein, die heiser war vom Weinen. In wenigen Stunden trommelte er einen Trupp gutausgerüsteter Männer zusammen, legte Amaranta in die Hände einer Frau, die sich erbot, das Kind zu stillen, und verlor sich in unsichtbaren Wildpfaden auf der Suche nach Ursula. Aureliano ging mit. Etliche einheimische Fischer, deren Sprache sie nicht verstanden, bedeuteten ihnen im Morgengrauen durch Zeichen, daß sie keine Fremde hatten vorbeikommen sehen. Nach drei Tagen nutzlosen Suchens traten sie den Rückweg zum Dorf an.
    Mehrere Wochen hindurch war José Arcadio Buendía reichlich niedergeschlagen. Wie eine Mutter umsorgte er die kleine Amaranta. Badete sie und zog ihr frische Wäsche an, brachte sie viermal am Tag zum Stillen und sang ihr sogar abends die Lieder vor, die Ursula nie hatte singen können. Bei einer bestimmten Gelegenheit erbot sich Pilar Ternera, den Haushalt bis zu Ursulas Rückkehr zu führen. Aureliano, dessen geheimnisvolles Ahnungsvermögen sich im Unglück geschärft hatte, hatte eine blitzschnelle Eingebung, als er die Frau eintreten sah. Plötzlich wußte er, ohne es sich erklären zu können, daß sie an seines Bruders Flucht und folglich an dem Verschwinden seiner Mutter schuld war, und begegnete ihr mit so stummer erbarmungsloser Feindseligkeit, daß sie nicht wiederkam.
    Mit der Zeit renkten sich die Dinge wieder ein. José Arcadio Buendía und sein Sohn wußten nicht, von welchem Augenblick an sie von neuem im Laboratorium standen, Pulver schüttelten, Feuer unter der Brunnenröhre machten und sich von neuem geduldig der Handhabung der seit Monaten in ihrem Dungbett schlafenden Materie widmeten. Sogar Amaranta in ihrem Weidenkörbchen beobachtete neugierig die anspruchsvolle Arbeit ihres Vaters und ihres Bruders in der vom Quecksilberdunst vernebelten Kammer. Einmal, Monate nach Ursulas Aufbruch, begannen merkwürdige Dinge zu geschehen. Eine lange Zeit in einem Schrank vergessene leere Flasche wurde mit einemmal so schwer, daß sie sich unmöglich fortrücken ließ. Ein auf dem Arbeitstisch stehender Wasserkessel kochte ohne Feuer eine halbe Stunde lang, bis das Wasser vollständig verdampft war. José Arcadio Buendía und sein Sohn beobachteten diese Erscheinungen mit erschrockenem Frohlocken, ohne sie sich erklären zu können, deuteten sie jedoch als Bekundungen der Materie. Eines Tages setzte sich Amarantas Körbchen selbsttätig in Bewegung und beschrieb zu Aurelianos Bestürzung, der es hastig anhielt, in der Kammer einen vollständigen Kreis. Doch sein Vater blieb ungerührt. Stellte das Weidenkörbchen wieder an seine Stelle und band es an einem Tischbein fest, überzeugt, daß das erwartete Ereignis bevorstand. Bei dieser Gelegenheit hörte Aureliano ihn sagen:
    »Wenn du Gott nicht fürchtest, so fürchte wenigstens die Metalle.«
    Plötzlich, fast fünf Monate nach ihrem Verschwinden, kehrte Ursula zurück. Sie kam in gehobener Stimmung, verjüngt, in neuen Kleidern eines im Dorf unbekannten Stils. Mühsam widerstand José Arcadio Buendía dem Schock. »Das war es!« schrie er. »Ich wußte, daß es kommen mußte.« Und er glaubte es wirklich, denn in seiner langen Zurückgezogenheit, während er seinen Stoff behandelte, hatte er im Grunde seines Herzens gebetet, das erwartete Wunder möge nicht der Fund des Steins der Weisen sein, nicht die Befreiung vom Hauch, der den Metallen Leben einflößt, nicht die Fähigkeit, die Scharniere und Schlösser des Hauses in Gold zu verwandeln, sondern genau das, was jetzt eintraf: Ursulas Rückkehr. Sie indes teilte nicht seine Freude. Sie gab ihm einen förmlichen Kuß, als sei sie kaum eine Stunde fortgewesen, und sagte:
    »Geh an die Tür.«
    José Arcadio Buendía brauchte lange, um sich von seiner Verblüffung zu erholen, als er auf die Straße hinaustrat und die Menschenmenge sah. Es waren keine Zigeuner. Es waren Männer und Frauen wie sie selber, mit losem Haar und dunkler Haut, die ihre eigene Sprache sprachen und über die gleichen Beschwerden klagten. Sie brachten proviantbeladene

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