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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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Schwalbenleberpastete zu verlangen. Wie immer nahm Aureliano Segundo die Kinder mit, um ihnen seine Enzyklopädie zu zeigen, und Fernanda tat, als wolle sie Memes Schlafzimmer aufräumen, nur damit er sie murmeln höre, es ge höre eine Portion Dreistigkeit dazu, unschuldigen Würmern den Bären aufbinden zu wollen, Oberst Aureliano Buendía sei in der Enzyklopädie abgebildet. Nachmittags, während die Kinder ihren Mittagsschlaf hielten, setzte Aureliano Segundo sich in die Veranda, und sogar bis dorthin verfolgte ihn Fernanda, forderte ihn heraus, quälte ihn, umschlich ihn mit ihrem aufsässigen Schmeißfliegengesumm und sagte, jetzt, wo kaum noch Steine zum Essen übrig wären, müßte ihr Gatte es sich natürlich bequem machen wie ein Sultan von Persien und den Regen betrachten, er sei eben nichts als ein Tagdieb, ein Gigolo, ein Taugenichts, schlapper als Rohbaumwolle, gewöhnt, sich von Weibern aushalten zu lassen, und offenbar überzeugt, die Frau des Jonas geheiratet zu haben, die sich bei der Geschichte von dem Wal so still verhalten habe. Aureliano Segundo hörte sie über zwei Stunden an, so gleichgültig, als sei er taub. Er unterbrach sie erst spät am Nachmittag, als er den Widerhall der Pauke nicht mehr ertragen konnte, der ihm das Hirn zermarterte:
    »Bitte, schweige jetzt!«
    Fernanda hingegen hob die Stimme. »Ich habe keinen Grund zu schweigen«, sagte sie. »Wer mich nicht hören will, kann weggehen!« Nun verlor Aureliano Segundo die Selbstbeherrschung. Ohne Hast stand er auf, als wolle er nur seine Knochen strecken, und mit durchaus abgemessener, methodischer Wut packte er einen nach dem anderen die Begonientöpfe, die Farnkübel, die Oreganokästen und zerschmetterte sie einen nach dem anderen am Erdboden. Fernanda erschrak, denn in Wirklichkeit war sie sich über die gewaltige innere Kraft ihrer Litanei nicht im klaren gewesen, doch nun war es zu spät für jeglichen Einlenkungsversuch. Trunken vom unaufhaltsamen Sturmwind seines Gefühlsausbruchs zerschmiß Aureliano Segundo die Scheiben des Glasschranks, und ohne sich zu übereilen, nahm er die einzelnen Stücke des Tafelgeschirrs heraus und zerschmiß sie am Boden zu Staub. Systematisch, mit derselben Sparsamkeit, mit der er das Haus mit Geldscheinen austapeziert hatte, zerschmetterte er an den Wänden das böhmische Kristall, die handbemalten Blumenvasen, die Bilder mit den Jungfrauen in rosenbeladenen Ruderbooten, die goldgerahmten Spiegel und alles, was zerbrechlich war vom Wohnzimmer bis zur Speicherkammer, und endete beim Küchenbottich, der in der Mitte des Innenhofs mit einer dumpf rollenden Explosion zerplatzte. Dann wusch er sich die Hände, warf sich das Wachstuch über und kehrte vor Mitternacht mit ein paar knochenharten Stücken Salzfleisch, etlichen Säcken Reis und kornwürmerdurchsetztem Mais sowie ein paar verkümmerten Büscheln Bananen wieder. Fortan fehlte es nicht mehr an Eßbarem.
    Amaranta Ursula und der kleine Aureliano sollten sich der Sintflut als glückliche Zeit erinnern. Trotz Fernandas Strenge patschten sie im Morast des Innenhofes, jagten Eidechsen, um sie zu vierteilen, und spielten »Suppe vergiften«, indem sie Falterflügelstaub hineinwarfen, wenn Santa Sofía von der Frömmigkeit nicht aufpaßte. Ursula war ihr unterhaltsamstes Spielzeug. Sie sprangen nämlich mit ihr um wie mit einer altersschwachen Puppe, die sie von einer Ecke in die andere schleiften, die sie mit bunten Fetzen verkleideten und der sie das Gesicht mit Ruß und Ruku bemalten, und einmal hätten sie ihr fast die Augen ausgestochen, wie sie es bei den Kröten mit der Rosenschere taten. Nichts bereitete ihnen größere Freude als die Phantastereien der Greisin. Tatsächlich mußte im dritten Jahr der Regenzeit in ihrem Gehirn etwas vor sich gehen, denn nach und nach verlor sie den Sinn für die Wirklichkeit und verwechselte die augenblickliche Zeit mit zurückliegenden Zeiten ihres Lebens, und zwar so sehr, daß sie einmal drei Tage lang den Tod der Petronila Iguarán, ihrer Urgroßmutter, die vor mehr als einem Jahrhundert beerdigt worden war, untröstlich beweinte.
    So versank sie in einen Zustand derart aberwitziger Verwirrung, daß sie glaubte, der kleine Aureliano sei ihr Sohn, der Oberst, zu der Zeit, als man ihn mitgenommen hatte, um das Eis kennenzulernen, und José Arcadio, der damals im Seminar war, sei der mit den Zigeunern abgezogene Erstgeborene. Sie sprach so viel von der Familie, daß die Kinder lernten, ihr

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