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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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dringende Botschaften geschickt, und dieser hatte ihr geantwortet, er wüßte noch nicht, wann er wieder in ihr Haus käme, jedenfalls würde er eine Kiste mit Goldmünzen mitbringen, um das Schlafzimmer zu pflastern. Dann hatte sie auf dem Grund ihres Herzens die letzten Kräfte zusammengescharrt, um das Unheil zu überleben, und war auf eine gerechte, überlegte Wut gestoßen, dank derer sie sich schwor, das von ihrem Geliebten vergeudete und von der Sintflut vollends vernichtete Vermögen wiederherzustellen. Dies war eine so unerschütterliche Entscheidung, daß Aureliano Segundo, der acht Monate nach ihrer letzten Botschaft wieder zu ihr ging, sie grün und zerzaust vorfand, mit eingesunkenen Augenlidern und räuderissiger Gesichtshaut, aber munter Zahlen auf Papierschnitzel schreibend, um eine Tombola zu veranstalten. Aureliano Segundo war sprachlos, er war so abgezehrt und so feierlich, daß Petra Cotes glaubte, nicht ihr lebenslänglicher Geliebter komme und wolle sie abholen, sondern sein Zwillingsbruder.
    »Du bist verrückt«, sagte er. »Es sei denn, du willst Knochen verlosen.«
    Sie sagte, er solle mal ins Schlafzimmer hineinschauen, und Aureliano Segundo sah die Mauleselin. Die Haut klebte ihr ebenso an den Knochen wie ihrer Herrin, aber sie war ebenso lebendig und entschlossen wie sie. Petra Cotes hatte sie mit ihrer Wut ernährt, und als kein Gras mehr da war und auch kein Mais und keine Wurzeln, beherbergte sie sie in ihrem eigenen Schlafzimmer und gab ihr die Perkallaken zu fressen, die Perserteppiche, die Plüschbettdecken, die Samtvorhänge, den golddurchwirkten Baldachin und die Seidenquasten der bischöflichen Bettstatt.
     

 
     
     
     
     
     
    Ursula mußte sich unsagbar anstrengen, um ihr Versprechen einzulösen und zu sterben, sobald der Regen aufhörte. Ihre während der Regenzeit so seltenen Blitze der Hellsicht wurden vom August an häufiger, als der trockene Wind zu blasen begann, der die Rosensträucher erstickte und die Sümpfe versteinerte und der über Macondo den glühenden Staub regnen ließ, der für immer die verrosteten Blechdächer und die hundertjährigen Mandelbäume bedeckte. Ursula weinte aus Mitleid, als sie entdeckte, daß sie über drei Jahre lang den Kindern als Spielzeug gedient hatte. Sie wusch sich das bepinselte Gesicht, zog die bunten Papierstreifen vom Kopf, die Mauereidechsen und getrockneten Kröten, die Samenkernhalsbänder und alten Araberketten, die sie ihr am ganzen Leib befestigt hatten, und zum ersten Male seit Amarantas Tod stand sie ohne Hilfe aus ihrem Bett auf, um sich von neuem ins Familienleben einzugliedern. Der Mut ihres unbezwinglichen Herzens führte sie in der Finsternis. Wer ihr Tasten beobachtete und etwa gegen ihre stets erzengelgleich auf Kopfhöhe gehaltenen Arme stieß, dachte wohl, wie schwer ihr der eigene Körper wöge, glaubte aber längst nicht, daß sie blind sei. Sie brauchte nicht zu sehen, daß die seit dem ersten Wiederaufbau mit so viel Sorgfalt gepflegten Blumenbeete vom Regen zerstört und von Aureliano Segundos Ausschachtungen vollends vernichtet waren, daß Wände und Fundamente gerissen waren, die Möbel wackelig und entfärbt, die Türen aus den Angeln gehoben, daß die Familie sich vom früher undenkbaren Geist der Entsagung und Niedergeschlagenheit bedroht sah. Wenn sie tastend durch die leeren Schlafkammern schlich, vernahm sie das beharrliche Donnern der im Holzwerk bohrenden Termiten, das Schneidegeräusch der Motten in den Kleiderschränken und das verheerende Getöse der riesigen bunten Ameisen, die während der Sintflut gediehen waren und die Fundamente des Hauses untergruben. Eines Tages öffnete sie die Truhe der Heiligen und mußte Santa Sofía von der Frömmigkeit zu Hilfe rufen, um die Kellerasseln loszuwerden, die sie aus dem Innern ansprangen und bereits die Gewänder zu Staub zernagt hatten. »In einer solchen Schlamperei kann man nicht leben«, sagte sie. »Wenn das so weitergeht, werden wir noch von all dem Ungeziefer aufgefressen.« Fortan fand sie keine Sekunde Ruhe mehr. Schon vor Tagesanbruch stand sie auf und musterte alle verfügbaren Hilfskräfte, sogar die Kinder, an. Legte die wenigen noch tragbaren Kleider in die Sonne, überrumpelte die Kellerasseln mit Insektenpulver, schabte die Termitengänge an Türen und Fenstern ab und vergiftete die Ameisen in ihren Löchern mit ungelöschtem Kalk. Das Restaurationsfieber lockte sie schließlich in die vergessenen Zimmer. So ließ sie die Behausung,

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