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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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Wirklichkeit der Dinge durch alle Äußerlichkeiten hindurch mit durchdringender Hellsicht. Jedenfalls war das der Standpunkt des Oberst Aureliano Buendía, für den Remedios die Schöne keineswegs geistig zurückgeblieben, sondern genau das Gegenteil war. »Es ist, als kehre sie heim aus zwanzig Jahren Krieg«, sagte er bisweilen. Ursula ihrerseits dankte Gott, daß Er ihre Familie mit einem Geschöpf von so ausnehmender Reinheit beschenkt habe, doch gleichzeitig war sie über ihre Schönheit betrübt, die ihr eine widersprüchliche Tugend schien, eine teuflische Falle mitten in ihrer Lauterkeit. Daher beschloß sie, das Kind von der Welt abzusondern, sie vor jeder irdischen Versuchung zu beschirmen, ohne zu wissen, daß Remedios die Schöne vom Mutterleib an gegen jede Ansteckung gefeit war. Der Gedanke, man könne im Pandämonium des Karnevals sie zur Schönheitskönigin küren, wäre ihr nie in den Sinn gekommen. Doch Aureliano Segundo, von dem Einfall besessen, sich als Tiger zu verkleiden, holte Pater Antonio Isabel ins Haus, damit er Ursula davon überzeuge, daß der Karneval kein heidnisches Fest sei, wie sie behauptete, sondern eine katholische Tradition. Endlich überredet, gab sie, wiewohl mit knirschenden Zähnen, ihre Einwilligung zu der Krönung.
    Die Nachricht, Remedios Buendía solle die Herrscherin der Festwochen werden, überquerte in wenigen Stunden die Grenzen des Moorgebiets, gelangte bis in entlegene Gebiete, wohin der Ruf ihrer Schönheit noch nicht gedrungen war, und löste Unruhe aus unter denen, die in ihrem Zunamen noch ein Sinnbild des Umsturzes sahen.
    Eine unbegründete Unruhe! Wenn es in jener Zeit einen harmlosen Menschen gab, so war es der gealterte, enttäuschte Oberst Aureliano Buendía, der nach und nach jede Berührung mit den Gegebenheiten der Nation verloren hatte. In seiner Werkstatt eingesperrt, bildete seine einzige Beziehung zur übrigen Welt sein Handel mit den goldenen Fischchen. Einer der früheren Soldaten, die sein Haus in den ersten Tagen des Friedens bewacht hatten, verkaufte sie in den Ortschaften des Moors und kehrte geld- und nachrichtenbeladen heim. So wußte er zu berichten, daß die konservative Regierung mit Hilfe der Liberalen den Kalender reformierte, damit jeder Präsident hundert Jahre an der Macht bleiben könne. Daß endlich das Konkordat mit dem Heiligen Stuhl unterzeichnet worden sei. Daß aus Rom ein Kardinal mit einer Diamantenkrone und einem Thron aus massivem Gold eingetroffen sei, daß die liberalen Minister sich hätten porträtieren lassen, wie sie kniend seinen Ring küßten, weiter, daß die Primaballerina einer spanischen Kompagnie während ihres Aufenthalts in der Hauptstadt von einer Bande Maskierter aus ihrem Umkleideraum entführt worden sei und am darauffolgenden Sonntag im Sommerpalast des Präsidenten der Republik nackt getanzt habe. »Erzähl mir nichts von Politik«, sagte der Oberst. »Unser Geschäft ist es, Fischchen zu verkaufen.« Als das öffentliche Gerücht, er wollte nichts von der Lage des Landes wissen, weil er in seiner Werkstatt reich werde, Ursula zu Ohren kam, lachte sie nur. Mit ihrem schrecklichen Sinn fürs Praktische brachte sie kein Verständnis für das Geschäft des Obersten auf, der Fischchen gegen Goldmünzen eintauschte, nur um die Goldmünzen wieder zu Goldfischchen zu machen, und so unentwegt weiter mit dem Erfolg, daß er desto mehr arbeiten mußte, je mehr er verkaufte, um einem aufreizenden Teufelskreis Genüge zu tun. Doch in Wirklichkeit reizte ihn nicht das Geschäft, sondern die Arbeit. Er brauchte so viel Konzentration, um die Schuppen aneinanderzureihen, winzige Rubine als Augen einzulegen, Kiemen auszuwalzen und Schwanzflossen einzusetzen, daß ihm keine einzige Lücke mehr verblieb, die er mit seiner Enttäuschung über den Krieg hätte ausfüllen können. Er war von der Aufmerksamkeit, die sein kostbares Kunsthandwerk forderte, so beansprucht, daß er in kürzester Zeit mehr alterte als in all den Kriegsjahren, und wenn seine Haltung ihm das Rückgrat verbog und seine Kleinarbeit ihm die Augen verdarb, so belohnte die unerbittliche Sammlung ihn dafür mit Seelenfrieden. Das letzte Mal, das man ihn mit Kriegsdingen beschäftigt sah, fiel in die Zeit, als eine Veteranengruppe beider Parteien um seine Unterstützung für die ewig versprochene und ewig verschobene Gewährung der lebenslänglichen Pension bat. »Vergeßt die ganze Sache«, sagte er zu ihnen. »Ihr seht doch, daß ich meine Pension

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