Hundert Namen: Roman (German Edition)
zweiunddreißig.«
»Dreiunddreißig. Meinen letzten Geburtstag hast du verpasst«, fügte sie vorwurfsvoll und ziemlich kindisch hinzu. »So bin ich eben, ich finde in allem eine Geschichte.«
»Geschichten, mit denen du Leute für deine Zwecke benutzen kannst.«
»Steve!«
»Früher hast du richtig gute Artikel geschrieben, Kitty. Positive Geschichten. Du hast sie um ihrer selbst willen erzählt, einfach weil es gute Geschichten waren. Nicht um Leute bloßzustellen oder ihnen etwas anzuhängen.«
»Tut mir leid, aber ich wusste nicht, dass dein Artikel über Victoria Beckhams neue Kollektion die Welt verändern wird«, konterte sie gehässig.
»Ich sage nur, ich hab deine Sachen gern gelesen. Jetzt bist du bloß noch …«
»Jetzt bin ich bloß noch was?« Sie hatte Tränen in den Au- gen.
»Ach, egal.«
»Nein, sag mir ruhig, was ich bin, denn ich hab es ja auch bloß die ganze letzte Woche auf jedem Nachrichtensender gehört, ich hab es im Internet gelesen und auch als Graffiti auf meiner Wohnungstür, und jetzt möchte ich wirklich gerne wissen, was mein bester Freund von mir denkt. Dieses Sahnehäubchen hat mir echt noch gefehlt«, brüllte Kitty.
Steve seufzte und schaute weg.
Ein langes Schweigen trat ein.
»Wie soll ich das denn wieder in Ordnung bringen, Steve?«, fragte sie schließlich. »Was kann ich tun, damit du und der Rest der Welt mich nicht mehr hassen?«
»Hast du mit dem Mann gesprochen?«
»Mit Colin Murphy? Wie denn? Morgen beginnt der Prozess! Wenn ich in seine Nähe komme, kriege ich nur noch mehr Ärger. Als feststand, dass er nicht der Vater des Babys ist, haben wir uns in Thirty Minutes sofort bei ihm entschuldigt, gleich am Anfang der Sendung. Das hatte absolute Priorität.«
»Glaubst du, dadurch fühlt er sich besser?«
Sie zuckte die Achseln.
»Kitty, wenn du mir das angetan hättest, was du ihm angetan hast, dann würde ich noch viel schlimmere Sachen machen, als die mit deiner Tür gemacht haben. Ich würde dich umbringen wollen«, sagte er. Es klang hart.
Kitty riss die Augen auf. »Steve, mach mir doch nicht solche Angst.«
»Das ist es, was du nicht kapierst, Kitty. Es geht hier nicht um deine Karriere. Oder deinen guten Namen. Es geht überhaupt nicht um dich. Es geht um ihn , um diesen Mann.«
»Ich weiß nicht, was ich tun soll«, meinte sie gequält. »Vielleicht kann ich erklären, was passiert ist … Die beiden Frauen waren so glaubhaft, Steve. Ihre Aussagen haben perfekt übereingestimmt, die Daten, die Zeit, es war einfach alles so … so real. Glaub mir, ich habe es mehrmals nachgeprüft. Ich habe mich nicht blind in was verrannt. Sechs Monate hab ich recherchiert. Sechs Monate. Der Produzent stand genauso hinter mir wie der Redakteur, ich hab das nicht im Alleingang gemacht. Und es ging auch nicht nur um diesen Mann. Hast du den Beitrag überhaupt gesehen? Das Thema waren Pädophile und Sexualstraftäter, die an irischen Schulen und in anderen Jobs in direktem Kontakt mit Kindern arbeiten und die schon einmal wegen Missbrauchs der ihnen anvertrauten Minderjährigen aktenkundig geworden sind.«
»Aber Colin Murphy gehört nicht dazu. Colin Murphy ist vollkommen unschuldig!«
»Okay«, räumte Kitty frustriert ein. »Aber von ihm abgesehen war alles, worüber wir berichtet haben, absolut korrekt. Und darüber spricht nie jemand!«
»Weil es dein Job ist, korrekt zu sein. Dazu braucht man dir nicht zu gratulieren.«
»Jeder andere Journalist hätte es genauso gemacht, aber den Brief von den beiden Frauen hab ich bekommen.«
»Aus gutem Grund. Diese Frauen haben dich drangekriegt und dich benutzt, um ihrem Lehrer eins auszuwischen. Die beiden wussten, dass du für den Sender häufig über irgendwelchen Schwachsinn berichtet hast und dich deshalb sofort auf die vermeintliche Chance stürzen würdest, deine Sternstunde zu erleben.«
»Es ging mir nicht um meine Sternstunde.«
»Ach wirklich? Ich weiß nur, dass ich dich noch nie so aufgeregt erlebt habe wie an dem Tag, als du den Job beim Fernsehen gekriegt hast. Und da hast du eine Reportage über Tee gemacht, Kitty. Wenn Constance dich bitten würde, einen Artikel über Tee zu schreiben, würdest du ihr sagen, sie soll dir den Buckel runterrutschen. Nein, das Fernsehen hat dich total gereizt.«
So gern Kitty das auch abgestritten hätte, sie konnte es nicht. Denn Steve hatte recht. Bei Thirty Minutes gab es immer eine große Enthüllungsstory, an der alle mitarbeiten wollten. Der Rest der
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