Hundertundeine Nacht
sich mit unverschämter Selbstverständlichkeit ihren Weg durch das Chaos bahnen. Unglaublich!
»Was hast du dir gedacht? Daß du unsterblich bist? Daß man im Irak nicht auf Frauen schießt?«
»Absolut nichts habe ich gedacht. Außer, daß es eine gute Chance war, von dort wegzukommen. Vielleicht habe ich auch gedacht, der Krieg habe begonnen, weiß ich nicht mehr. Es hatte sich aber nur ein amerikanischer Düsenjäger vom irakischen Radar belästigt gefühlt.«
Trotz meiner nachträglichen Sorge bin ich froh, daß Celine endlich über die Zeit im Irak erzählen kann. Sie hat eine Menge mitgemacht, aber sie ist nicht gefoltert oder vergewaltigt worden. Warum auch? Es ging ja nur darum, daß sie dieses Giftgasdings gesehen hatte, und die Fabrik dazu. Also hätte man sie töten müssen oder eben so lange wegschließen, bis Gras über die Angelegenheit gewachsen und eine gute Gelegenheit zum Austausch gekommen wäre.
Ihre Traurigkeit, ein anderes Wort fällt mir nicht dafür ein, wie ich Celine nach ihrer Rückkehr erlebt habe, muß von ihrer großen Enttäuschung herrühren, von der Art und Weise, wie Sommer und Konsorten sie mißbraucht, ihre Mühen und Entbehrungen entwürdigt haben. Von Zweifeln auch, ob Hilfslieferungen in den Nordirak überhaupt notwendig waren, nachdem die Kurden dort jetzt massiv Geld von den Amerikanern bekommen und deren Invasionspläne in den Irak unterstützen. Enttäuscht darüber hinaus, daß diese Invasion nun unmittelbar bevorsteht – heute haben die UN-Inspektoren den Irak verlassen – und daß bei aller Ablehnung des nun sicheren Krieges weder sie noch ich eine Idee haben, wie sonst die Iraker und die Welt Saddam Hussein loswerden können.
Sicher spielt auch das spurlose Verschwinden ihres Begleiters Heiner eine Rolle bei ihrer Traurigkeit. Aber darüber zu sprechen schien mir noch zu früh.
»Ich frage mich nur, warum man diese Geschichte mit der Bombe, die du geworfen haben sollst, in die Welt gesetzt hat. Warum haben die dich nicht einfach kommentarlos verschwinden lassen? Denn das mit der Bombe hat nun wirklich niemand geglaubt, der dich kennt!«
Celine grinst mich an.
»Wirklich?«
Ich erfahre, daß Celine sehr wohl auch dazu fähig ist.
»Das war keine Bombe. Eine Handgranate, glaube ich. Da stand eine ganze Kiste mit solchen Dingern herum, auf diesem Militärgelände, wo sie auch die Giftgasfabrik hatten. Ich war so etwas von wütend! So viele Strapazen für solch einen Betrug! Und ich dachte, für mich ist es sowieso vorbei. Also habe ich dieses Ding geworfen aber es ist überhaupt nichts passiert.«
»Es ist niemand zu Schaden gekommen?«
»Das Ding ist überhaupt nicht losgegangen!«
»Man muß den Sicherungsstift ziehen.«
»Das hat mir niemand gesagt.«
Die Böen nehmen an Heftigkeit zu. Längst ist die Sonne verschwunden. Wir fürchten, nicht mehr rechtzeitig vor dem Regen die Wannseeterrassen zu erreichen. Im Laufen halte ich Celine am Arm fest.
»Ich will nicht undankbar sein. Aber kommt jetzt nicht doch noch der zweite Teil von diesem Giftgasdings in den Irak?«
Wieder lächelt Celine.
»Mach dir keine Sorgen. Wer immer dieses Teil jetzt hat, wird nicht weit damit kommen. Dafür ist gesorgt.«
Plötzlich öffnet sich der Himmel, aus Kübeln schüttet es auf uns nieder. Binnen Minuten sind wir naß bis auf die Knochen. Celine hebt die Arme und dreht sich im kalten Regen, läßt ihn in großen Tropfen über ihr Gesicht laufen. Wir müssen uns anbrüllen, so toben Wind und Regen in den Kiefern.
»Ich bin froh, wieder hier zu sein.«
»Bin ich auch. Sonst hättest du mich nicht retten können!«
»Stimmt. Ich habe dir das Leben gerettet. Das kostet dich was.
»Sagen wir, ein Essen bei Luigi – wenn du den Nachtisch zahlst.«
Celine legt den Kopf zur Seite, scheint das Angebot abzuwägen, lacht dann.
»Das ist nicht fair. Den Nachtisch zahlst du auch!«
Es ist das erste Mal seit ihrer Rückkehr, daß ich Celine richtig lachen sehe. Da weiß ich, sie wird wieder in Ordnung kommen. Und ich auch. Und zum Schluß werden auch wir wieder in Ordnung kommen. Wenn wir uns nicht den Tod geholt haben in diesem kalten Vorfrühlingsregen.
Eilmeldung
US-Präsident Bush befiehlt Angriff auf den Irak.
Um 18:30 Uhr Ortszeit hat US-Präsident Bush den alliierten Verbänden den Angriffsbefehl auf den Irak gegeben. Zu den ersten Zielen der amerikanischer Bomben und Tomahawk-Cruise-Missiles gehörte der Süden Bagdads und Fabriken im
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