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Hundestaffel

Hundestaffel

Titel: Hundestaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Abermann
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frei. Wir tauchten ein in den Wirbel aus Lärm, wir tauchten ein in die Stadt, mit der wir lebten, wir stürzten uns in irgendeine Seitengasse wie in eine tiefblaue Strömung. Und ich erinnere mich, dass ich erleichtert zu lachen begann. Ich erinnere mich, dass ich das Gefühl hatte, gerade eben mit dem Leben davongekommen zu sein. Ich wäre fast ertrunken, doch ich war noch einmal aufgetaucht. Ich riss die beiden mit mir mit. Wir tauchten in die Stadt ein und ließen uns irgendwo an Land spülen. Wir schleppten uns wieder auf einen sicheren Strand.
    Aber das Meer, das wusste ich, begann langsam zu steigen. Die Gezeiten änderten sich. Die Flut war im Kommen.

    Wir platzten in ein Lokal hinein und lotsten Leo zu einem Tisch in einer Ecke. Er blutete noch immer. Ich wuchtete ihn in einen Sessel. Hannes bestellte. Ich setzte mich selbst hin und fiel hintenüber. Das rettende Ufer war erreicht. Im Sand liegend, schloss ich für einen Moment die Augen. Kleine farbige Punkte tanzten im Dunkel. Wo zum Teufel war ich hier eigentlich?
    Als ich die Augen wieder öffnete, redete Hannes auf Leo ein, der sich einen Stapel Papierservietten ins Gesicht drückte. Ich schloss die Augen noch einmal. Ich versuchte, mich auf die farbigen Punkte zu konzentrieren und zu vergessen, was eben geschehen war. Ich zählte von eins bis zehn. Jede Sekunde fühlte sich an wie Stunden. Bei zehn öffnete ich die Augen wieder. Auf den Papierservietten fraß sich das aufgesaugte Blut vorwärts wie die Glut durch eine Zigarette. Vor uns standen neue Getränke. (Das eigenartige Gefühl, dich nicht mehr erinnern zu können, dass du das letzte Glas tatsächlich getrunken hast.) Hannes saß in seinem Stuhl, als wäre er nach wie vor jederzeit bereit aufzuspringen und zuzuschlagen.
    Erneut schließe ich die Augen, nochmals Fade-out, wieder vergehen scheinbar Stunden.
    Ich kann nicht einmal mehr mit Sicherheit sagen, worüber wir uns in der Folge unterhalten haben. Alles ist wie aus dem Hirn geschossen. Dabei müssen wir doch geredet haben, ich kann mir nicht vorstellen, dass niemand etwas zu sagen gehabt hätte. (Obwohl: Ich kann es mir vorstellen.) In meiner Erinnerung ist jedenfalls von alledem nichts übrig geblieben. Das Gespräch ist ein Karnickel im Zylinder. Simsalabim: weg. Wie so viele andere Gespräche auch.
    Aus dieser Woche gibt es nur wenige Unterhaltungen, die ich noch nachzeichnen könnte. Die Worte sträuben sich gegen die Ordnung, sie lassen sich im Nachhinein nicht mehr in eine sinnvolle Reihenfolge bringen. Sie liegen, an einer Schnur aufgefädelt wie kleine Perlen, vor mir, ich hebe ein Ende der Kette hoffnungsvoll hoch, und die Perlen springen wirr über den Boden und rollen in unerreichbare Ecken. Diese Unterhaltungen entgleiten mir, oft bin ich mir nicht einmal mehr sicher, ob sie jemals stattgefunden haben.
    Warum halten sich manche Gespräche nicht? Vielleicht ist es die Unfähigkeit, die Gesprächspartner wirklich zu verstehen. Vielleicht auch die Unmöglichkeit, den anderen auszuloten. Gibt es überhaupt Menschen, die einfühlsam genug sind, um zu wissen, was ihr Gegenüber sagen wird? Die erzählen können, was ihr Gegenüber in Kürze erzählen wird, die seine Wendungen und Einfälle vorherdenken können, seine Vergleiche im Mund haben, bevor das Gegenüber sie anstellen kann? Gibt es ein solches Einfühlungsvermögen? Wahrscheinlich, aber nicht in dieser Runde. No-oh-way. Wir antworteten auf das, was wir hören wollten. Wir erfanden uns gegenseitig. Wir schossen im Gespräch ständig aneinander vorbei, hörten den anderen nur scheinbar zu, bis wir endlich wieder die Stimme der eigenen Antwort hören durften. Vielleicht bemerkte ich auch das in diesem Moment und zog daher das Fade-out vor.

    Es gibt noch ein Gespräch, von dem ich nicht sicher bin, ob es je stattgefunden hat. Ich sehe es wie auf einem alten, rauschenden Fernseher. Das wäre zu denken als Poltergeist für die Erinnerung, aus dem Gehäuse spritzen die Funken, Kurzschlüsse und aufgeregt blinkende Lichtkegel: Ein Intermezzo, ein kleines Blendwerk. Simsalabim!
    Das Gespräch findet auf einem kleinen Mauervorsprung statt, vom Eingang des Palace führt die Rampe hinaus auf eine Aussichtsplattform. Wir stehen an der Kante wie auf einem Sprungbrett. Im Dunkel hebt sich deutlich ein blaues Fahrrad ab, gegen ein Geländer gelehnt, es ist schwül, und unter uns breitet sich die Stadt aus. Der Lärm der Straßen ist abgedämpft zu einem leisen Plätschern, die Lichter der

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