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Hundestaffel

Hundestaffel

Titel: Hundestaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Abermann
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Gewissen mehr, das uns irgendwie drängte? Gab’s denn da kein Unbehagen? Vielleicht ja, vielleicht wollten wir es aber auch nicht zu nahe an uns heranlassen. Vielleicht reimten wir uns auch zusammen, was Hannes darüber dachte. „Gewissen ist Schwäche“, hätte er gesagt. Und in einem Anfall vorauseilenden Gehorsams passten wir unser Denken an. Dadurch konnte alles weiter seinen Lauf nehmen. Denn das lag uns vor allem am Herzen: den Lauf der Tage nicht zu gefährden, den Flow, den Beat, den Takt nicht zu zerstören. Der Ausgang der Schlägerei war in dieser Hinsicht sogar beruhigend. Denn Hannes stand immer noch auf der Seite der Gewinner. Und wir standen hinter ihm. Er hatte seine Macht demonstriert. Da wollten wir uns nicht gegen ihn stellen. Er war der Triebwagen, wir die Stützräder, in seinem Gefolge mussten wir nur mitrollen.
    Es gab einfach nichts Beruhigenderes, als ruhig zu bleiben.
    Was also war der Inhalt dieses Gesprächs? Akzeptieren wir es: Ich erinnere mich nicht. Stellen wir Vermutungen an. Selbst wenn ich den genauen Verlauf nicht mehr nachvollziehen kann, kann ich mir doch vorstellen, wie es abgelaufen sein dürfte. Hannes hatte eine eigene Art, Gespräche zu führen, er beherrschte es, seinen Gesprächspartnern mit bloßen Worten den Arm um die Schulter zu legen. Du übernahmst einfach seine Sichtweise, instinktiv und treuherzig wie ein Hund. Dies war sein Geschenk an seine Gesprächspartner: Für einige Zeit durftest du dich fühlen wie er, durftest dir seine Sicherheit zu eigen machen, während du übersahst, dass du nie so sein würdest wie er. Hannes war ein begnadeter Prediger, seine Zuhörer standen am Fuße der Kanzel und glaubten, sich selbst auf der Kanzel stehen zu sehen.
    Ich nehme also an, dass Hannes auch in jenem Moment predigte, dass er sich zu einer Rechtfertigung seiner Autorität aufschwang. Wahrscheinlich sagte er etwas darüber, dass nur durch die Reaktion des Mannes die Sache ein wenig aus dem Ruder gelaufen war. Provoziert hatte er uns! Schräääcklich! Uns traf doch keine Schuld! Das Leben hatte seine Mechanismen! Wir taten schlussendlich nicht viel mehr, als in diesem Räderwerk zu funktionieren!
    Jawoll! Und ein Prost! Hoch die Tassen!
    Genau für diese Art von Argumenten hatte Hannes eine Vorliebe. Er zerrte jedes Problem an den Haaren hinein in sein Weltbild und nagelte es dort so fest, dass es in den Rahmen passte. Es gefiel ihm, sich selbst als Vollstrecker eines Weltplans zu präsentieren. Er tat nicht mehr als das, was die Welt von ihm erwartete. Und praktischerweise tat auch die Welt immer das, was er sich von ihr erwartete. Hannes war eine Naturgottheit.
    Also bitte, dürfte Hannes gesagt haben, was habe er denn getan, was die Frau nicht selbst wollte? Wenn dieser Idiot dazwischengehe, stelle er sich nur gegen den natürlichen Lauf der Dinge! So funktioniert die Welt, Arschloch, bring das unter in deinem Kopf! Hannes, der sich einer Frau nähere, das sei doch nur natürlich! Das sei es, was Leben fordere, etc. – so in etwa dürfte er argumentiert haben – der ständige Wechsel, das Flirren von Molekülen im Raum, die Anziehung zwischen Mann und Frau etc.
    Ein Flirren, das niemand kontrollieren könne, außer du selbst. (Dazu Hannes’ gestreckter Zeigefinger:) Jeder sei sich immer selbst der Maßstab. Darüber hinaus gebe es kein Gesetz, keine Gerechtigkeit. Das sei der einzige Wert, den man verteidigen müsse: die Macht des Menschen, das zu tun, was er wolle. Das alles ignorierende Leben stehe immer an der Spitze. Alles andere müsse sich diesem Anspruch unterordnen etc.
    Mit dieser Meinung sei er nicht allein, trumpfte Hannes auf, nein, er sei nicht der Erste, der so denke, er habe diese Ideen sogar schon irgendwo gelesen, bei irgendeinem Franzosen. Seit Jahrhunderten bestünden diese Ideen. Man müsse sie sich nur aneignen und sie anwenden, dann werde man selbst zum König der Welt. Genau deshalb werde die Schlägerei auch keine Folgen haben. Wer sollte uns schon etwas anhaben können, fragte Hannes, wartete dabei aber nicht auf die Antwort. Wer sollte uns denn kommen, wo wir doch unerreichbar seien?
    Dagegen hätte man alles einwenden können oder eben nichts. Und weil wir Hannes glauben wollten, blieben wir stumm. Denn nichts konnte Hannes’ Standpunkte je erschüttern, weil er sie aus sich selbst schöpfte und auf sich selbst anwandte.
    Ich stelle mir vor, was geschehen wäre, wenn ich nach der Berechtigung der Macht gefragt hätte. Ich stelle mir

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