Hundestaffel
seine Antwort vor, Hannes’ ganz normalen Größenwahn. Wenn jeder sich zum Gott aufschwang, war die Welt voll von Allmacht. Es verloren nur jene, die nicht an sich selbst glaubten. Und spätestens an diesem Punkt versammelten wir uns hinter Hannes. Denn was konnte besser sein, als sich unbesiegbar zu fühlen? Was war sicherer als ein Ort außerhalb jeden Gesetzes? Gemeinsam mit Hannes fühlten wir uns einzigartig, weil wir mit ihm an der Spitze stehen konnten. Wir flankierten ihn, um an uns selbst glauben zu können. Ohne ihn würden wir untergehen. Schlimmer noch: Wir fürchteten hinter ihm zurückzubleiben; nicht mehr seine Stützräder zu sein, sondern unter seine Räder zu geraten.
Deshalb sagten wir nichts. (Deshalb liefen wir.)
Heute fiele mir noch ein Einwand ein, eine Frage, die ich damals an jenem Tisch hätte stellen sollen: die Frage nach dem Ende der Herrschaft. Ob es nicht noch etwas gebe, was unsere Herrschaft beenden könnte. Was denn geschehen würde, wenn uns der Tod ins Handwerk pfuschte. Und was hätte Hannes geantwortet? Es sei im Grunde sehr einfach, hätte er gesagt: Wir würden einfach niemals sterben.
Ja, Hannes, siehst du diesen Satz? Volltreffer, sage ich. Das bist du, hier zeichne ich dich richtig. Da bist du angekommen, wo du keine Welt mehr kennst, außerhalb deiner selbst. Wo du anfängst, kann es kein Ende mehr geben. Ach Hannes, du Sargnagel meiner Erinnerung. Vielleicht hat auch dieses Gespräch nie stattgefunden. Vielleicht phantasiere ich. Vielleicht baue ich es aus Versatzstücken anderer Gespräche mit dir zusammen. Doch es würde zu dir passen. Und auch wenn der Satz unmöglich erscheint (wer würde so etwas schon wirklich sagen!), ich bin mir sicher, dass du ihn ernst gemeint hättest. Du hast dir selbst geglaubt, du warst deine eigene Bibel. Du würdest einfach nie sterben. Und weil du es sagtest, war es wahr. Das hat lange Zeit funktioniert. Denn die Welt war nur ein Programm. Die Befehle dazu waren Teil deiner Sprache.
Jetzt fragen wir nach dem Fehler im System. Und was finden wir: Du hast geglaubt, dass ein Zustand existiert, in dem du dir selbst genügst. Eine Welt, in der du von nichts abhängig bist, außer von dir selbst. Ein Reich, in dem das Ich König ist und das Alphabet mit I beginnt. Doch du hast vergessen, was es braucht, um an der Spitze zu stehen: Du brauchst Untertanen. Du brauchst Gläubige. Gläubige, die mit dir, für dich, blutend an einem Bartisch saßen, um dir zuzuhören. Menschen, die später deine Geschichte aufschreiben würden. Also: Memento mori! Nur durch mich wirst du unsterblich. Wir mussten an dich glauben, um dich zum Gott zu machen. Wenn niemand mehr zu dir betet, bist du auch nur ein Mensch. Wenn niemand mehr dich ansieht, dann hast du kein Gesicht mehr. Und wenn ich dich vergesse, hat es dich niemals gegeben. Wenn ich hier nicht von dir erzähle, hörst du auf, jemand zu sein. Wenn ich aufhöre zu erzählen, dann gehen wir beide unter. Und zwar miteinander. Und nicht jeder für sich.
Hannes, atme tief ein: Jetzt riechen wir Lunte. Jetzt kommen wir zum Kern. Es wird Zeit, dass ich mich dir zuwende. Schließlich drehte sich doch alles eigentlich um dich. Also, tritt aus den Büschen heraus in die Lichtung. Was hat dich beherrscht in diesen Tagen? Was war los mit dir in dieser Woche? Was hat dich getrieben? Woher kam die Energie? Lauter Fragen, die ich mir selbst beantworten muss. Um in dich hineinzusehen, muss ich dich erst anfüllen. Da muss ich schon die Schale aufknacken, damit ich dir die Innenwelt auskleiden kann. Und das heißt auch, dass ich dir Gewalt antun muss, um dir eine Erinnerung zu geben.
Also reiße ich dich ein wie ein Kartenhaus, richte dich ein wie ein Puppenhaus. Das ist nötig, um den Respekt abzubauen. Nieder mit dir, sage ich. Ich muss dich schrumpfen, dich zu einem Spielzeug machen, um wirklich von dir erzählen zu können. Ich stelle dich auf einen Tisch, öffne deine Fassade, weide dich aus und dann! Rums! Dann fülle ich deine Zimmer mit Gegenständen. Und was finden wir dann in dir? Lass mich sehen, was wir da reinbringen. Eine kleine Geschichte, um dich menschlicher zu machen. Ein paar Kleinigkeiten, um zu verstehen, was dich antrieb, warum sich diese Osterwoche entwickeln musste, wie sie es schließlich tat. Wann fing das alles an? Muss ich mit deiner Kindheit anfangen?
Hannes stand in der Wartehalle eines Flughafens und starrte auf die Anzeigetafel. Bald begriff er, dass diese Zeilen die Ankunft eines
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