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Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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weigerte er sich, Frau Mutters Besuch zu empfangen.
    »Ich will sie nicht sehen«, sagte er zu seiner Tochter, und wenn Frau Mutter dennoch mit Blumen ins Krankenhaus kam, fragte er nur: »Wer bist du? Du bist nicht Elisabeth!«
    In diesem fortgeschrittenen Stadium der Krankheit war sich Hans Carlo nicht mehr darüber im klaren, daß Schläge, die auf dem Sterbelager ausgeteilt werden, Wunden verursachen, die niemals heilen. Leichenblaß und tödlich verletzt zog sich Frau Mutter auf ihren Stuhl auf dem Krankenhausflur zurück, während dieser Mann, der mir niemals Kinder geschenkt hat, den ich aber trotzdem bedingungslos geliebt habe , rasch dahinsiechte. Es war ein schwacher Trost für Leila, daß Hans Carlo wenige Wochen vor seinem Tod endlich die wahre Gewichtung seiner Gefühle zwischen Lillian und ihr zeigte. Zu ihrer großen Überraschung begann sie, Mitleid mit der stummen Frau Mutter zu empfinden, die Tag und Nacht auf dem Krankenhausflur saß, verwiesen vom Totenbett ihres Ehemannes, mit Tränen, die die Wangen herabströmten, bis sie wenige Tage vor Hans Carlos Tod austrocknete. Frau Mutter schien in diesen Tagen eine seelische Veränderung durchzumachen, die ebenso radikal war wie die Transformation in Hans Carlos Gehirngewebe. Die launenhaften, dominanten und unbeherrschten Seiten ihrer Persönlichkeit verblaßten. Leila errang mit anderen Worten einen Sieg, auf den sie niemals zu hoffen gewagt hatte. Aber so sollte es nun auch wieder nicht sein , dachte sie, außerdem hatte Hans Carlos abgehackte Erzählung von einem mystischen Norweger mit einer bekritzelten Naziflagge, der an einem der glücklichsten Tage seines Leben dabeigewesen war, etwas Beunruhigendes. »Was für ein Norweger?« wollte Leila wissen. »Wie heißt er?« Aber Hans Carlo konnte sich nicht entsinnen, schließlich war es über dreißig Jahre her, daß er und Elisabeth mit dem Norweger und dem speckbackigen Deutschen in einer verrauchten Kneipe in Berlin gesessen hatten.
    Im letzten Stadium der Krankheit bewegte sich Großvater noch weiter zurück in der Zeit. Nun begann er, von einem Nöck im Bach zu phantasieren, und die letzten Worte, die über seine Lippen kamen, waren zusammenhanglose Bruchstücke aus unheimlichen Wiegenliedern, die Harry wie auch Leila erschreckten. Wenn man schreit, welkt einem die Zunge, wenn man lügt, wird man schwarz im Bauch. Nur wenn sich, was nur sehr selten geschah, Frau Mutter in der Tür zeigte, hob er seine Stimme: »Mach, daß du wegkommst!« schrie er und raufte sich die Haare, als ob er etwas absolut Unerträgliches gesehen hätte.
    Je schlimmer Hans Carlo sich gegenüber Frau Mutter aufführte, desto größer wurde Leilas Solidaritätsgefühl mit der Verschmähten. Das Gefühl wurde nicht geringer durch Hans Carlos permanentes Gerede über Elisabeth, die auf ihrem Motorrad draußen vor dem Fenster hielt, bereit, ihn über den Todesfluß zu bringen. Daß ein alter und wohlbekannter Engel ihr den Vater rauben sollte, ließ die Bilder der Kindheit wiederauferstehen. Plötzlich begriff sie, daß ihr in all den Jahren der Kindheit durch den Engel Elisabeth ein erheblicher Teil von Hans Carlos Aufmerksamkeit verlorengegangen war. Was für ein Vater war Hans Carlo eigentlich gewesen? Ein abwesender Vater, geprägt von der Sorge um seine kranke Ehefrau, ein Vater, dessen Augen vor Trauer verschlossen waren. Wäre Leila so verbissen gegen Frau Mutter vorgegangen, wenn sie nicht ihr gesamtes Leben im Schatten eines Engels gestanden hätte?
    Mit anderen Worten, als Leila ihren Vater verlor, quälte sie die Idee, daß sie schon immer eine Waise gewesen war. Wer war ihr eigentlich am vertrautesten? Niemand geringeres als Frau Mutter , dachte sie unruhig und spürte, wie ihr die Beine versagten, denn wer hatte sie in das dunkle Universum der Weiblichkeit eingeweiht, wer war mit gutgemeinten Ratschlägen über Hygiene und Verhütung gekommen, und wer hatte auf den ersten Blick gesagt, sie wäre ein liebes kleines Mädchen? Das war trotz allem mehr, als ihre richtige Mutter je getan hatte, das war eine weitaus größere Vertrautheit als mit Hans Carlo, kurzum, was kam einem wirklichen Elternteil am nächsten? Frau Mutter! Mein Gott, machte ihr dieser Gedanke zu schaffen! Verflucht, er ließ sie verwirrt zwischen Hans Carlo im Krankenzimmer und Frau Mutter auf dem Flur des Krankenhauses hin- und herlaufen, während ihr bewußt wurde, daß Elisabeth nur eine Leerstelle war, die sie mit Engeln und paradiesischen

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